Alles eine Frage der Sozialisation
Ich bin „eine Veteranin“, habe ich vergangenes Wochenende auf einer Playparty gelernt. Angesichts der aktuellen Situation finde ich den Vergleich von BDSM-Partys und Krieg besonders geschmacklos. Doch ich musste zumindest zugeben, dass meinen Körper Narben vom Spielen zeichnen, ich keine Führungen durch die gängigen Locations mehr brauche und meine Antwort auf die Frage, wie ich auf der Party gelandet bin, meistens „mit dem Zug“ ist. Was der Partyneuling mir mit diesem Gespräch aufzeigte, wurde mir jedoch erst im Verlauf des Abends wirklich bewusst: Nach zwei Jahren Pandemie teilen wir uns inzwischen sehr deutlich in erfahrene Kinkster und absolute Neulinge. Dabei geht es nicht darum, dass ich mich mit meinen Erfahrungen oder Fähigkeiten überlegen fühle. Hier geht es um meine kinky Sozialisation oder eben den Mangel daran bei anderen. Der kann amüsant sein, im besten Fall. Oder eben unangenehm bis gefährlich.
Auf der vergangenen Party habe ich viele schöne Begegnungen mit neuen Menschen gehabt. Aber eben auch seltsame. Denn als ich meine Begleitung fragte, ob sie nicht Lust hätte, ein wenig zu fesseln und ein mir bis dahin unbekannter Mensch aufsprang, um freudig zu erklären, da wäre er auch bei, geriet ich das erste Mal ins Stocken. Anscheinend erschienen ihm unsere Interaktionen so casual, dass sie für jeden zugänglich seien. In der spezifischen Situation war es einfach Nein zu sagen. In anderen Situationen waren schon die Nachfragen unangenehm. Wenn Menschen auf einer Couch aftercaren, ist es für manche nach kurzem Check-In vielleicht okay sich dazu zuzusetzen. Schwierig wird es aber dann, wenn es nach außen nach einem witzigen Tetris oder offenem Flauschhaufen aussieht und auch so behandelt wird. Und ganz manchmal geht es einfach so schnell, dass eine Grenze überschritten wird. Auf der Party war es nur die kraulige Hand eines viel zu fremden Menschen, die plötzlich in meinen Haaren hing. Trotzdem war es dreist und ging zu weit. Bloß weil ich so mit meinen Freunden umgehe, möchte ich das nicht mit jedem.
Diese scheinbare Zugänglichkeit und Offenheit machen mir Sorgen. Neulinge sehen nicht, wie viele Jahre oder Jahrzehnte wir uns teils schon kennen. Sie wissen nicht wer mit wem mal irgendwie verpartnert war, wie viele intime Gespräche und Situationen wir gemeinsam erlebt haben, welche Traditionen und Insiderwitze sich entwickelt haben, wie wir unsere junge kinky Szene im Verein und anderer Zusammenarbeit miteinander gestaltet haben und wie viel Vanilliges wir neben solchen Partys schon geteilt haben. Wir haben einen ungewöhnlich intimen und vertrauten Umgang miteinander entwickelt, das ist es doch auch was wir alle miteinander lieben – von der Vanillawelt in unsere kinky Safe-Space-Flausche-Bubble zu gehen.
Doch diese zwischenmenschliche Annäherung kann nicht einfach übersprungen werden. Ich dachte immer, das würde allein dem gesunden Menschenverstand klar sein. Unsere Bubble ist nicht so tabulos und freizügig, wie sie nach außen scheinen mag. Sie folgt ihren ganz eigenen Normen. Anfangs war ich auf der vergangenen Party deswegen noch sehr tapsig unterwegs, habe Menschen brav danach gefragt, ob sie umarmt werden wollen und erst Smalltalk geführt bevors zu den intimeren Dingen kam. Ich war mir nicht sicher welchen Bahnen wir noch miteinander folgen. Aber dieses ganz besondere Gefühl von Vertrautheit war schnell wieder da, sodass ich mir viele Dinge einfach herausgenommen habe: Menschen kuscheln, berühren, mobben, Spiele aus nächster Nähe beobachten, kommentieren, spontan ein wenig mitmachen oder Wunden befühlen. Es war schön. Nur bilde ich mir inzwischen ein, gut abschätzen zu können, wann diese Dinge okay sind und wann nicht. Ich vertraue den verbalen und non-verbalen Kommunikationswegen, die wir gefunden haben. Nur vermittle ich Neulingen damit, es wäre okay sich einfach einzumischen statt sich kleinschrittig anzunähern. Auf der vergangenen Party habe ich den Mangel an Sozialisation nur an Kleinigkeiten gemerkt. Sie haben mich nur stutzen lassen oder meine Stimmung getrübt. Aber was ist, wenn diese Diskrepanz wächst? Wenn es zu deutlicheren Grenzüberschreitungen und Belästigungen kommt die nicht mehr nur unangenehm, sondern physisch und psychisch gefährlich sind?
Wenn Menschen das nächste mal BDSM-Partys und Krieg so leichtfertig miteinander vergleichen, hoffe ich, dass ihnen gesagt wird: Es geht nicht um Waffen, Kämpfe oder ein gegeneinander, sondern um Empathie und ein miteinander. Es geht nicht darum immer neue Horizonte einzunehmen, sondern anderen welche zu zeigen. Und ganz sicher, geht es nicht darum sich einfach voll ins Gefecht zu stürzen, sondern Schritt für Schritt engere Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Hm. Vielleicht sollte den Meister Yoda da jemand anderes übernehmen, ich klinge ja doch nur wieder nach pathetischen Kalendersprüchen. Feststeht aber: Neulinge sollten mit mehr Absicht und Planung an so eine Party herangeführt werden. Wir brauchen mehr Transparenz unserer Normen und gezielte Sozialisierung nach der Pandemie, also Erziehung. Da werden sich unter euch Kinkstern doch sicher ein paar Spezialisten finden? 😉
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*Dieser Text ist im Nachgang zur APPP Ruhrgebiet 2022/1 veröffentlicht worden. Einem Gebiet in dem – im Gegensatz zu anderen – lange keine Partys für diese spezifische Zielgruppe stattgefunden haben. Er spiegelt einige meiner Eindrücke wider und ist keine Kritik am Konzept oder den Veranstaltenden der Party. Danke für eure wunderbare Organisation und die ganze Mühe, ich kann euch echt gut riechen 😛