Buchrezension: Schlampen mit Moral
Ich darf stolz verkünden: Ich habe mein erstes Buch über Polyamorie gelesen, und zwar „Schlampen mit Moral“ (im Original: The Ethical Slut). Das ist deshalb so erstaunlich, weil ich mich bislang mit Polyamorie direkt nur wenig befasst habe; viele Menschen im BDSM-Umfeld sind auch polyamourös veranlagt, daher habe ich das von Anfang an „mitgenommen“ und mich selten explizit damit befasst.
Insgesamt habe ich wohl doch mehr mitgenommen als ich dachte, da ich leider nur wenige Neuigkeiten und Erkenntnisse aus diesem Buch gezogen habe. Es richtet sich meiner Ansicht nach vor allem an Anfänger, die bislang nur wenige Erfahrungen gemacht haben oder sich erstmals überhaupt mit dem Thema befassen.
Aber von vorn: Als oberstes Gebot der Polyamorie wird Einvernehmen mit allen Beteiligten postuliert, weil jede Beziehung einzigartig ist und andere Bedürfnisse hat. Daher sollten wir Beziehungen auch nicht für vermeintliche objektive Kriterien wie Tiefe oder Dauerhaftigkeit schätzen, sondern genau für das, was wir an ihnen schätzen. Das finde ich einen guten Ansatz, der gerade in unserer heutigen Zeit an Bedeutung gewinnt, wenn man bestimmte Menschen aufgrund großer Distanzen beispielsweise nur selten sehen kann, aber sie eben trotzdem für bestimmte Eigenschaften schätzt.
Ein wichtiger Punkt, der angesprochen wird, ist, dass man Beschränkungen im Kopf ebenso überwinden muss wie reale Beschränkungen. Die Grenzen im Kopf haben, dem Buch zufolge, eher grundsätzlich mit dem Konstrukt Polyamorie zu tun, also dass man sich bewusst macht – sofern noch nicht geschehen –, dass wirklich genug Liebe für alle da ist. Als reale Beschränkungen werden die Klassiker Zeit und Ort aufgeführt – also Platz im Terminkalender finden plus ein Zimmer, in dem man idealerweise ungestört ist und vor allem andersherum auch niemanden stört. Dabei sollte man nicht vergessen: Immer alle informieren!
Essenziell ist laut den Autorinnen Dossie Easton und Janet W. Hardy außerdem das Lernen und Üben bestimmter Verhaltensweisen: Ehrlichkeit, Treue, Kommunikationsfähigkeit, emotionale Aufrichtigkeit, das Annehmen und Zeigen von Zuneigung, Grenzen ziehen, Planung sowie Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen. Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen, weil das an sich ja bereits auf alle Beziehungen zutrifft und auf polyamouröse nochmal mehr, weil hier mehr Beziehungspartner involviert sind. Auf den ersten Blick klingt das alles sehr selbstverständlich, aber beispielsweise das Grenzen ziehen wird auch meiner Erfahrung nach oft vernachlässigt, wenn man im Eifer des Gefechts begeistert ist über die vielen neuen Möglichkeiten und dabei vergisst oder übersieht, dass einem manche Dinge doch nicht gut tun.
Ansonsten werden noch unzählige weitere Themen vorgestellt, von Diskriminierung, Flirten und Safer Sex über Eifersucht und den Umgang mit Konflikten bis zur Aufklärung der Kinder. Was man dem Buch noch ankreiden kann, ist der stark paarzentrierte Ansatz – der interessanterweise vor allem in der Theorie jeweils recht stark herauskommt und in den Anekdoten der Autorinnen um einiges weniger. Ich hätte ihn selbst wohl nicht bemerkt, sondern wurde von einer Solo-Poly-Freundin darauf hingewiesen, die noch erläuterte, dass in diesem Fall wohl das Alter des Buchs eine Rolle spielt (es wurde vor etwa 20 Jahren geschrieben). Damals ging es noch darum, Polyamorie an sich zu etablieren, während sich heute die gesamte Szene weiterentwickelt hat.
Fazit: „Schlampen mit Moral“ ist ein gut lesbares Buch, das die Grundlagen der Polyamorie gut verständlich erläutert und auch einige praktische Übungen enthält. Für Neulinge und Einsteiger ist es eine bereichernde Lektüre, die sie langsam vom „alten Denken“ hin zur Polyamorie führt und dabei wirklich auf alle Aspekte eingeht. Für Fortgeschrittene, die tiefer in die Materie einsteigen wollen, ist es eher weniger empfehlenswert, da die Aktualität stellenweise fehlt und das Thema Polyamorie eher breit als tief behandelt wird.