Die Gemeinschaftssuche als Selbstfindungstrip, Teil 1: Konsumflucht

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photo credit: Boris Mann via Flickr cc

Ich war eigentlich nach Berlin gezogen, um eine eigene Gemeinschaft zu gründen. Nachdem ich eine Diplomarbeit über eine städtebauliche Perspektive der Postwachstumsökonomie* geschrieben hatte, hatte sich dieser Wunsch immer mehr verstärkt. In Stuttgart sah ich nicht das Potenzial, Menschen zu finden, die mutig genug sind, ein Experiment zu wagen und gemeinsam in einem Wohngeflecht mit mehreren Familien zu einer Familie mit gemeinsamer Kindererziehung zusammenzuwachsen. Für mich bedeutet dieses Experiment das Auflösen des Konzepts der Kernfamilie, wie sie heutzutage in der Konsumgesellschaft üblich ist. Ich fand diesen Anspruch an eine Gemeinschaft schon hoch genug und sagte so Dinge wie „Ich will keine Hippie-Kommune gründen“ und „Mit guten Freunden wird eine Gemeinschaft automatisch funktionieren“. Letzteres stellte sich als naiv heraus und durch das Fehlen einer ordentlich begleiteten Supervision war das Projekt von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Das mit der Hippie-Kommune war ziemlich vorurteilsbehaftet, da es mir selbst jetzt, am Ende meiner Gemeinschaftssuche, noch schwer fällt zu definieren, was eigentlich ein Hippie oder eine Kommune ist und was mich konkret an diesen Begriffen stört.

Auf einem Polyamorie-Stammtisch erfuhr ich, als ich jemanden von meinem Frust des eigenen Gemeinschaftsbildungsprozess erzählte, vom Ökodorf „Sieben Linden“. Wenn man in die Gemeinschaft von über 140 Menschen aufgenommen wird, wohnt man ein Jahr zur Probe und muss innerhalb dieses Jahres seine sog. Nachbarschaft finden, mit der man zusammen ein Haus bauen möchte. Jede Nachbarschaft muss dafür ein Konzept (wie z.B. veganes Leben, Leben in gewaltfreier Kommunikation oder Wohnen ohne Technik) erarbeiten, was sie als Nachbarschaft verbindet. Dadurch soll der Pluralismus der Gesellschaft im Kleinen widergespiegelt werden. Ich fand das ein tolles Konzept, da es für mich Sinn macht, über das Dorf eine Versorgungsgemeinschaft zu bilden. Außerdem werden ideelle Themen in kleine Gruppen aufgespaltet, was verhindert, dass ein Ökodorf zu dogmatisch in eine Richtung gelenkt wird. Ich entschied mich spontan nach „Sieben Linden“ zu fahren und ahnte nicht, dass ich leidenschaftliche Themen aus meiner Vergangenheit, die durch mein Leben in der Konsumgesellschaft in Vergessenheit geraten waren, neu entdecken würde. Ökodörfer beschreiben diesen Prozess als „Inneres Wachstum“ – ein Begriff, der bei mir zuvor mit Angst und Vorurteilen belegt war.

Ich habe mich dennoch auf den Prozess eingelassen. Auslöser dafür war eine Situation am ersten Abend in „Sieben Linden“. Ich saß in einem Bauwagen und bekam das Feuer für den Ofen nicht an. Eine Situation, mit der ich gerechnet hatte, da ich beinahe die Reise abgesagt hätte, als klar war, dass ich zum ersten Mal in einem Bauwagen übernachten würde. Außerdem ist auf dem Gelände von „Sieben Linden“ strahlungsfreie Zone, d.h. Handys müssen ausgeschaltet werden, es gibt kein WLAN, und noch bevor ich in besagtem Bauwagen ins Bett gehen wollte, wurde gemeinsam der Ulmentanz getanzt. Alles kam mir so fremdartig vor und ich fing an mich zu distanzieren. Da ich nachts aber nicht erfrieren wollte, entschied ich mich nebenan zu klopfen und um Hilfe beim Feuermachen zu bitten. Sofort bekam ich herzliche Hilfe und mich durchflutete Dankbarkeit. Und mit diesem Gefühl setzte ich mich ins Bett und spielte noch eine Runde „Reus“ auf meinem Computer. Wahrscheinlich werden das nicht viele Leser nachvollziehen können, aber für mich ergab auf einmal alles einen Sinn: Die Solidarität, das Feuer, der Bauwagen und dieses Computerspiel über Naturgestaltung. Mit Worten lässt sich dieses Gefühl leider schlecht beschreiben, aber es führte dazu, dass ich bereit war, mich auf den Ort „Sieben Linden“ einzulassen.

Der Ort „Sieben Linden“ hat einige Orte mit mystischer Ästhetik und auf einmal fühlte ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Warum hatte ich damals mein Interesse an schamanischen Ritualen verloren? Später sollte mir klar werden, dass Schamanismus für mich eine mystische Erfahrung mit der Materie und meinem Körper bedeutet und nicht eine transzendente spirituelle Erfahrung ist. Wahrscheinlich hatte ich Angst davor, dass andere Menschen wegen meiner schamanischen Sichtweise auf die Dinge denken könnten, dass ich wissenschaftliche Methoden ablehne. Für mich sind diese Dinge aber keine Widersprüche, da meine schamanischen Erfahrungen nichts mit kognitivem Verständnis zu tun haben, sondern ein emotionales Erlebnis sind und somit als Ergänzung zur Wissenschaft zu sehen sind. Tatsächlich hatte ich meine schamanische Sichtweise nie abgelegt, sondern sie in meiner Sexualität und in meiner Kunst beibehalten. Als ich in „Sieben Linden“ war, konnte ich diese Erkenntnis nur emotional begreifen. Aber mir war sofort klar, dass es nicht reicht, eine Gemeinschaft ohne Ort aufzubauen. Für andere mögen meine schamanischen Bedürfnisse nicht wichtig sein, aber dafür andere Faktoren, die mit dem Standort der Gemeinschaft zusammenhängen.

Außerdem wurde mir in „Sieben Linden“ klar, dass ich nach meinem Studium meine eigenen Ideale verraten hatte. Mir war zwar nach dem Studium bewusst, dass ich meine Arbeitskraft verkaufe, aber mir war nicht bewusst, dass man Postwachstumsökonomie* sofort leben kann und nicht erst warten muss, bis die Transition Town Bewegung richtig in Fahrt gekommen ist. Ich kann jetzt schon Teil der Bewegung sein, wenn ich mein Leben radikal ändere, und ich muss nicht unheimlich viel Energie aufwenden, eine eigene Gemeinschaft, die dem Ideal nur mittelmäßig gerecht wird, zu gründen. Vielleicht waren meine Vorurteile gegenüber Gemeinschaften unbegründet und es würde eine Gemeinschaft geben, die zu mir passt? Eine Gemeinschaft, die trotz der Ideale der Transition Town Bewegung undogmatisch ist und noch einiges an Individualismus zulässt? Wie ich bereits im Artikel Was Menschen suchen, die Gemeinschaften suchen beschrieb, kaufte ich mir das Buch „Eurotopia“ und meine Suche begann.

Im zweiten Teil berichte ich von den Gemeinschaften, die ich besucht habe, und wie mich das Gefühl, das ich in „Sieben Linden“ erlangte, zu der Erkenntnis führen sollte: Ich bin nicht nur Computer-Nerd, sondern auch Hippie und Kommunist. Und obwohl ich immer dachte, kein Problem damit zu haben, „anders“ zu sein, macht mir das noch immer Angst.

* Postwachstumsökonomie beschreibt ein Wirtschaftskonzept, das nicht auf Profit und Wachstum ausgelegt ist, sondern sinnvollen Umgang mit Ressourcen und Energie durch Suffizienz, Subsistenz und Effizienz sucht. Im Volksmund sagt man dazu Nachhaltigkeit oder seit Neuestem Resilienz.