Ein Loblied auf die Zweckbeziehungen
Zu dieser Kolumne inspirierte mich das Lied „all i want“ von Younger Brother. Das Lied wird mit folgendem Dialog eingeleitet:
Q: “Could you define the word paranoiac? Could you define it in more detail?”
A: “Aaaahhh… Is one… Uuuhh.. The name is… eehhh… ‚paranoiac critical method‘ because is one spontaneous method of knowledge, based in the instantaneous association of delirious material.”
Danach wird in dem Lied davon gesungen, wie verliebt der Protagonist ist:
„I’ll be there for you
I see you now you can’t escape
Words to slow us to late
All I want
You’re all I need”
Das Gefühl der Verliebtheit führt hier zu einem eingebildeten, nahezu paranoiden Zustand. Spricht er hier mit seiner Angebeteten? Und woher will der Protagonist wissen, dass er überhaupt gebraucht wird und es sich nicht nur einbildet, weil es für ihn so wichtig ist, gebraucht zu werden?
Die Hormone in unserem Körper werden vom Gehirn gesteuert und natürlich haben sich schon viele Wissenschaftler mit den Vorgängen in unserem Gehirn auseinandergesetzt, die Vorstellungen von Verliebtheit generieren. Hierbei fanden die Forscher heraus, dass diese Vorgänge der von beginnender Zwangsneurose sehr ähnlich sind*. Da die Verbindung zwischen den Gehirnhälften von Generation zu Generation verkümmert**, könnten durch die schlechtere Erfassung in Zukunft noch unrealistischere Vorstellungen im Kopf entstehen.
Nun will ich hier nicht sagen, dass trotz der krankhaften Symptome alle frisch Verliebten verrückt sind. Wenn die entstehenden Erwartungen und Hoffnungen mit denen des anderen auf einen gemeinsamen Nenner fallen, können hieraus sehr lebenswerte Liebesbeziehungen entstehen. Immerhin soll man die Dinge in einem spielerischen heiligen Ernst genießen können, damit sie auch lebenswert werden***.
Ein Freund sagte mir mal „Wir sind nicht für unsere Triebe verantwortlich, sondern dafür, was wir daraus machen“ und verwies damit auf Karl Held: „Die Psychologie des bürgerlichen Individuums“. So sollten wir uns also nicht nur auf unsere Empathie verlassen, sondern unsere Erwartungen und Hoffnungen immer mit dem/n Partner/n abgleichen. Natürlich zeigen uns Gefühle, was und wer uns wichtig ist, und bei einem guten empathischem Verhältnis auch, wenn andere dieselben Gefühle für uns empfinden****. Allerdings müssen wir uns auch auf kognitiver Ebene absichern und mit unserem/n Partner/n konkrete Pläne für die Zukunft aushandeln, in denen die Erwartungen und Hoffnungen von allen Beteiligten Platz haben.
Spätestens wenn jemand feststellt, dass er nur einer Täuschung unterlegen war, wird er sprichwörtlich ent-täuscht. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass dadurch das zuvor blinde Vertrauen, das die andere/n Person/en genießen durfte, nachhaltig gebrochen ist und nur sehr schwierig und mit viel Einsatz des/r Partner wieder aufgebaut werden kann. Somit schwebt über frisch Verliebten immer das Damoklesschwert, das die Beziehung zerstören könnte. In einer Welt der zunehmenden Individualisierung***** ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Vorstellungen zweier Personen von ihrer Beziehung stark abweichen können.
Wäre es da nicht viel sicherer, Zukunftspläne, die normalerweise nach und nach durch das Zusammenleben von Liebenden entstehen, nur mit Zweckgemeinschaften zu machen? Der ursprüngliche Zweck der Ehe war es gewesen, Besitztümer – und damit die Versorgung einer Mehrgenerationenfamilie – zu sichern. Die Vorstellung, dass die Beziehung mit einem Partner, mit dem man das Leben verbringt, eine romantische ist, kam erst einige Jahrhunderte später in der westlichen Welt auf******. Wenn man sich nun vorstellt, mit Freund*Innen eine Zweckgemeinschaft aufzubauen, in der man sich wie in einer riesigen Familie die Kindererziehung und die materielle Sicherung teilt, gibt es, systematisch gesehen, zur romantischen Ehe nur einen Unterschied: Die fehlenden hormonellen Spannungen. Wie ich bereits zuvor beschrieb, sind diese alles andere als ein guter Beziehungskleber und sollten vielleicht gerade deswegen außerhalb der Familie genossen werden!?
* vgl. Helen Fisher – Why we love: The Nature and Chemistry of Romantic Love
** vgl. Iain McGilchrist: The Master and his Emissary
*** vgl. Robert Pfaller: Wofür es sich zu leben lohnt
**** vgl. Tania Singer: Differential pattern of functional brain plasticity after compassion and empathy training
***** vgl. Ulrich Beck: Riskante Freiheiten – Gesellschaftliche Individualisierungsprozesse in der Moderne
****** vgl. Marianne Pieper und Robin Bauer: Polyamory & Mono-Normativität