Empowering crappy emotions
Als meine Mitautoren und ich vor über einem halben Jahr unsere Artikeltage festgelegt haben, habe ich natürlich nicht so weit gedacht, dass ich von nun alljährlich die Ehre haben werde, unseren Weihnachtsartikel zu schreiben. Das finde ich einerseits sehr toll, da Weihnachten für mich eine sehr wichtige Zeit im Jahr ist, da sie immer wieder Erinnerungen an eine Kindheit mit Kiefernadelnduft, Plätzchen und Weihnachtsliedern hervorruft und die in meiner atheistischen Familie tatsächlich immer harmonisch abgelaufen ist, andererseits ist es natürlich eine Herausforderung, ein Thema zu finden, das dem Anlass angemessen ist.
Das Thema, das ich eigentlich schon in meinem November-Artikel aufgreifen wollte, der aber aus Zeitgründen nicht fertig wurde, war Verantwortung. In meinem Oktoberartikel I CRAVE INTIMACY TO THE SAME BURNING DEGREE THAT I DETEST COMMITMENT habe ich an das Ende eine Liste von Dingen gestellt, zu denen ich mich in einer Beziehung verpflichten kann und möchte. Ein Punkt, der in der Erstversion des Artikels noch in der Liste zu finden war, war folgender: Ich verpflichte mich dazu, zwar keine Verantwortung für die Emotionen meines Gegenübers zu nehmen, aber seine Gefühle ernst zu nehmen und mit Respekt zu behandeln. Nachdem meine Co-Autoren einige Nachfragen zu diesem Punkt hatten, habe ich ihn aus der Liste entfernt und beschlossen, einen eigenen Artikel zum Thema Verantwortung in Beziehungen zu schreiben.
Die Formulierung scheint in erster Linie eine sehr rücksichtslose und egoistische Sichtweise abzubilden. Warum sollte man sich für die Gefühle des Partners nicht verantwortlich fühlen, wenn man sie doch verursacht hat? Der wichtige Punkt bei dieser Frage ist aber: Ist das wirklich der Fall? Hat der Partner Schuld daran, wenn man selbst unglücklich ist, sich unwohl oder zurückgesetzt fühlt? Mit Ausnahme von Extremsituationen wie verbaler und/oder physischer Misshandlung liegen die Auslöser von Gefühlen in uns selbst. Wir reagieren auf das Verhalten von anderen Menschen und – abhängig von unseren eigenen Erlebnissen und Erfahrungen – haben wir alle unterschiedliche Trigger, die unangenehme Emotionen auslösen können. Alle Formen von Beziehungen, vor allem sehr intime, haben die Macht uns zu verletzen. Es ist ein sehr natürliches Verhalten, eine Rahmenkonstruktion bauen zu wollen, in der wir uns sicherer fühlen und die uns das Gefühl gibt, die Kontrolle zu behalten. In dieser Hinsicht scheint es leichter (und ein sozial akzeptiertes Phänomen), dem anderen ein bestimmtes Verhalten vorzuwerfen, ohne sich damit auseinanderzusetzen, warum man bestimmte Gefühle in bestimmten Situationen empfindet. Es ist jedoch auch ein stark selbstbestimmender Akt und ein großer Schritt in die eigene Mündigkeit, die Verantwortung für seine eigenen Emotionen zu übernehmen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie dem Partner, den Freunden und seiner Umwelt in einer nicht aggressiven oder passiv-aggressiven Weise zu kommunizieren. Und es bedeutet sehr viel Reflektionsarbeit. Es versetzt einen jedoch auch in die Lage, Verantwortung für die eigenen persönlichen körperlichen und psychischen Grenzen zu übernehmen.
Verantwortung ist jedoch auch ein janusköpfiges Thema und muss umformuliert werden, ja nachdem, wer der jeweilige Adressat der Information ist. Ich richte diesen Artikel vor allem an Menschen, die eher dazu tendieren, sich zu viel Verantwortung für den emotionalen Zustand des Gegenübers aufzuladen. Er ist nicht als Entschuldigung für rücksichtsloses Verhalten gedacht und soll auch keinen Aufruf dazu darstellen, den Partner mit seinen Gefühlen allein zu lassen mit dem O-Ton: Du bist ja selber schuld daran, dass es dir so geht.
Ich sollte die Gefühle meines Gegenübers ernst nehmen, egal wie lächerlich und absurd sie in diesem Moment auf mich wirken – sie sind real, in dem Moment, in dem sie für den anderen real sind. Aber man kann auf den anderen eingehen, ohne sich selbst die Verantwortung für dessen Emotionen aufzuladen. Wenn ein Partner in einer Situation nicht damit zurechtkommt, dass ich gerade den anderen Partner treffe, muss ich mich nicht schuldig fühlen, dass ich gehe oder gar das Treffen absagen. Es ist aber auch nicht notwendig, die ohnehin schon verunsicherte Person mit einem „Komm bitte allein damit klar“ stehen zu lassen. Man hat immer die Möglichkeit, den anderen in den Arm zu nehmen und ein Gespräch und Kuscheleinheiten für später anzubieten und ihm/ihr dadurch Sicherheit und Unterstützung zu bieten.
Eine Aussage, die ich immer wieder in Foren lese, ist folgende: „Aber was, wenn ich keine Lust mehr habe, mich ständig anpassen zu müssen, was wenn ich mich nicht mehr weiterentwickeln mag – ich habe in den letzten Jahren nichts anderes getan!“ Ich verstehe dieses Argument vollkommen – manchmal möchte man einfach stehen bleiben und sein vollbrachtes Werk anschauen, in dem Wissen, endlich angekommen zu sein. Aber wahrscheinlich werden wir alle nie ankommen, wir lernen nur immer kreativere Fehler zu machen und immer interessantere Versionen unserer selbst zu werden. Es spricht nichts dagegen, stehen zu bleiben und durchzuatmen. Aber wenn wir uns nie weiterbewegen, kann es sein, dass wir irgendwann feststellen, dass unsere Freunde und Partner sich zu weit von uns entfernt haben.
Und damit wünschen wir all unseren Lesern ein paar wundervolle Tage zwischen den Jahren, die ihr hoffentlich mit euch wichtigen und lieben Menschen verbringen könnt, ganz gleich wo und wie ihr sie feiert. Wir hoffen euch im nächsten Jahr alle wiederzusehen (und dann vielleicht nicht nur als Zahlen in unseren Statistiken, sondern ein paar von euch auch in unseren Kommentaren – wir mögen Kommentare 🙂 )