Fastnächtliche Gedanken zu ehrlicher Kommunikation

Narren-Mütze

photo credit: Quinn Dombrowski via Flickr cc

Es ist Fastnacht und in einigen Kleinstädten werden sogenannte Narrengerichte abgehalten. Bei den Narrengerichten werden prominente Politiker eingeladen, die sich vor dem Narrengericht einer Anklage stellen müssen. Das Narrengericht ist eine Mischung aus Spott und respektvoller Behandlung. Das Wichtigste ist aber, dass Politikern die Gelegenheit gegeben wird, frei heraus reden zu können, ohne große Konsequenzen zu befürchten. Der Politiker schlüpft in die Rolle des Narren, und da man als Narr gilt, wird einem verziehen.

Als ich meine Brieffreundin kennengelernt habe, hat sie mir zum Abschied den ersten Brief zugesteckt und schrieb darin, ich sähe wie ein Harlekin aus. Als Harlekin darf man die Wahrheit sagen, ohne dafür gehängt zu werden, und so habe sie dank meiner Worte Neues gelernt. Auch innerhalb der Polyamorie-Szene wurde ich dafür geschätzt, dass ich so frei heraus reden kann und Themen auf den Tisch bringe, an die sich sonst keiner herantraut. Allerdings ist der Grad zwischen Inspiration und Taktlosigkeit sehr schmal. Gerne habe ich auch rücksichtslos den Finger in die Wunde gelegt und Menschen mit Themen konfrontiert, denen sie lieber ausgewichen wären, z.B. habe ich sie auf ihre Eifersucht hingewiesen. Wenn ein Narr sie darauf bringt, kann man ihm verzeihen: „Es ist ja nur Pablo, der meint das nicht so!“. Das Problem ist nur, er meint es wirklich so! Auf der einen Seite finde ich es schade, dass ich als Narr manchmal nicht ernst genommen werde, und doch genieße ich es gleichzeitig, dass man mir meine verletzenden Bemerkungen verzeihen kann.

Und damit kommen wir zu dem eigentlichen Punkt des Artikels: In dem Moment, in dem ich ohne Rücksicht auf Verletzung meine Meinung sage, bin ich absolut ehrlich. Manchmal weiß ich sogar, dass das, was ich sagen werde, den anderen verletzen könnte. Manchmal lerne ich etwas Neues über den Menschen, wenn ich ihn aus Versehen mit meinen Worten verletzt habe. Aber warum sollte ich überhaupt etwas potenziell Verletzendes sagen? Was ist so wichtig an gnadenloser Ehrlichkeit?

Wissen schafft Vertrauen

Es geht zum einen um Vertrauen und zum anderen um Selbstverantwortung. Ich möchte meine Gefühle und Bedürfnisse nicht vor meinen Partnerinnen verstecken. Wenn ich zum Schutz meiner Partnerinnen aber nur die halbe Wahrheit oder gar nichts erzählen würde, könnten diese sich nie sicher sein, was in mir genau vorgeht. Zum Beispiel höre ich oft von monogam lebenden Menschen „Appetit holt man sich draußen, aber gegessen wird Zuhause“, wenn ich sie mit ihrem Verlangen nach auch anderen Menschen konfrontiere. Der Tipp stabiler (monogamer!) Beziehungen sei, seinen Partner vor dem „Appetit“ zu schützen, indem man diese Begierde auf sexuellen Kontakt mit anderen verschweigt. Ich kenne Menschen, denen es egal ist, was in dem anderen vor sich geht, und die dennoch Vertrauen aufbauen können, weil ihnen nur wichtig ist, was ihre Gegenüber tun bzw. wie sie sich entscheiden. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Denn wenn ich nicht weiß, was der andere Mensch denkt und fühlt, kann ich nicht wissen, ob die Entscheidungen, die er trifft, auch in Zukunft dieselben sein werden. Außerdem bekomme ich nicht mit, wenn meine Partnerin anfängt, sich zu verändern. Natürlich ist niemand perfekt und deswegen ist es wichtig, auch zu verzeihen, wenn man mal nicht die komplette Wahrheit (ein viel zu hoher Anspruch!) sagen konnte.

Anerkennung der Stärke des Gegenübers

Und was hat es mit der Selbstverantwortung auf sich? Wenn ich meine Partnerinnen schütze, indem ich schmerzhafte Themen wie z.B. Wünsche, die von ihnen nicht erfüllt werden können und daher Minderwertigkeitsgefühle hervorrufen könnten, verschweige, nehme ich ihnen die Verantwortung ab. Genauso möchte ich auch nicht, dass mir die Verantwortung abgenommen wird. Jeder Mensch ist für seine Gefühle selbst verantwortlich. Den Partner vor schlechten Gefühlen zu schützen wäre also eine Entmündigung. Eine Freundin sagte kürzlich zu mir, dass sie Partnerschaften dann für wertvoll hält, wenn man innerhalb dieser an seiner Persönlichkeit wachsen kann. Eine ehrliche Kommunikation und somit die Verantwortung für den Umgang mit den Informationen bei jedem selbst zu lassen, ist für das Persönlichkeitswachstum unablässig. Man muss der Partnerin aber unbedingt kommunizieren, dass man sie mit ihren Themen nicht alleine lassen will und dass man sie liebt. Wenn diese Basis nicht vorhanden ist, wird meiner Erfahrung nach mit ehrlicher Kommunikation das Vertrauen eher zerstört als aufgebaut.

Lästern – die Grenzen ehrlicher Kommunikation

Ehrliche Kommunikation hört da auf, wo sie zur Lästerei wird. Das ist mir in einem Gespräch mit Aureliana vor Kurzem klar geworden, als wir uns darüber unterhielten, wie schnell sich Informationen innerhalb einer Szene verbreiten können. Das sorgt natürlich für impliziten Druck, sich sozial zu verhalten und keine schlechten Dinge zu tun. Allerdings kann man bei Gerüchten nie wissen, ob sie die Ereignisse wirklich wahrheitsgetreu wiedergeben. Oder ob es sich um Dinge handelt, die jemand früher einmal getan hat, aber heute nie wieder so tun würde, weil er sich verändert hat.

Wenn man Informationen weitererzählt, ist es wichtig, bei sich selbst zu bleiben: Was macht dies oder jenes mit mir, wenn ein Dritter dies oder jenes macht? Bei mir geht es meistens um Verletzung, Neid oder Angst (siehe z.B. Mein neuer Umgang mit Neid). Wer mehr dazu wissen will, sollte sich mit gewaltfreier Kommunikation beschäftigen. In dem Moment, in dem man aber einer anderen Person böse Absichten unterstellt oder wilde Vermutungen anstellt, ohne zu wissen, was wirklich in ihr vor sich geht, kann es nur zu Lästerei kommen. Wenn man also mit seinen Partnerinnen und Freunden spricht (und sich damit Informationen innerhalb einer Gruppe oder Szene verbreiten), sollte man sich selbst die Frage stellen, ob man noch gewaltfrei kommuniziert oder ob man Gerüchte in die Welt setzt. Ich habe z.B. bei mir festgestellt, dass ich früher gerne aus Rache für eine Verletzung schlecht über andere Menschen gesprochen habe. Es ist okay, mit anderen über diese Rachegefühle zu sprechen, aber jemand anderen für die Verletzung verantwortlich zu machen und ihn in den Dreck zu ziehen, ist nicht mehr okay.

Die einzige Wahrheit, die wir mit Sicherheit wissen können, ist das, was wir denken und fühlen. Deswegen: Werdet euer eigener Narr und seid mutig, eure Wahrheit anderen mitzuteilen.