Flying Solo

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photo credit: alejandro cañizares via Flickr cc

Nachdem Pablo sich im Januar mit verschiedenen Beziehungsformen auseinandergesetzt hat, ist mir aufgefallen, dass die Form, mit der ich mich zur Zeit am ehesten identifiziere, in seiner Übersicht fehlt oder zumindest nicht namentlich erwähnt wird.

Ich finde es einerseits immer schwierig, sich auf Label und Kategorien zu verlassen, da sie die Tendenz haben, zum Schub-Denken zu verleiten. Auf der anderen Seite kann es für viele Menschen, die sich immer irgendwie fehl am Platz gefühlt haben, ein sehr befreiendes Erlebnis sein, herauszufinden, dass es für die eigenen Gefühle, Denkweisen und Präferenzen Worte und Bezeichnungen gibt, die einen selbst beschreiben, und dass man nicht allein ist.

Eine Flagge, unter der ich gerne segle, da sie gut auf mich passt, ist die der Solo-Polyamorie. Die ersten PolyBlogs, die ich neben dem von Franklin Veaux verfolgt habe, waren die Blogs von Aggie und Polly, beide Wortführer in der nordamerikanischen Solo-Poly-Szene und Admins in der Facebook Solo-Poly-Gruppe. Für diesen Beitrag werde ich mich stark an die Ansätze der beiden anlehnen, unter anderem weil mir ihre BlogPosts lange als Gedanken- und Identifikationsstütze gedient haben. Hier also ein Versuch der Erklärung, was Solo-Polyamorie eigentlich ist (oder was ich für mich darunter verstehe). Der Erklärungsansatz sollte jedoch nicht als allgemein gültig verstanden werden, wie auch in der restlichen Poly-Gemeinschaft sind Gründe, Einstellungen und Präferenzen der einzelnen Mitglieder fließend.

Der Teil Polyamorie aus dem Wort Solo-Poly wird für viele Leser wohl der bekanntere Ansatz sein: Darunter wird – sehr grob umrissen – die Praxis von Beziehungen zu mehr als einem Menschen zur gleichen Zeit verstanden, mit dem vollem Wissen und dem Einverständnis aller beteiligten Partner.

Der Solo-Teil lässt sich vor allem auf zwei Aspekte reduzieren, die ich bislang bei den meisten Mitgliedern der Community in den Diskussionen erkennen konnte: Man ist sein eigener Primär-/Hauptpartner*. Solo-Poly-Menschen tendieren normalerweise nicht dazu, sich stark als Teil eines Paares (oder einer Triade etc.) zu identifizieren. Wir ziehen es vor, uns als Individuen zu präsentieren und auch zu agieren und unser Leben nicht so eng mit einem anderen Partner zu verflechten, dass wir das Einverständnis oder die Erlaubnis anderer Partner benötigen, um weitere romantische/zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen. Die Idee, einem Partner ein Veto-Recht über andere Beziehungen zu erteilen, ist für die meisten Menschen, die sich als Solo-Polys identifizieren, eher unüblich oder sogar ziemlich abschreckend.

Solo-Polys neigen dazu, großen Wert auf die eigene Autonomie und die von anderen zu legen, und stehen dem Konzept der Beziehungsrolltreppe** häufig kritisch bis ablehnend gegenüber. Was natürlich nicht heißt, dass sich jemand mit diesem Lebenskonzept nie Partnerschaften mit Kindern oder gemeinsamen Wohnorten vorstellen kann,  aber es sollte – zumindest bis andere Bedürfnisse geäußert werden – davon ausgegangen werden, dass die Person keine derartigen Wünsche hegt.

Für mich persönlich fallen unter dem Solo-Poly-Aspekt noch folgende Punkte, die aber nicht generell auch für andere gelten:

Genauso, wie ich als Teil meines Beziehungsmodells zur Zeit kein Primär-/Hauptpartner werden möchte, habe ich mich aufgrund von negativen Erfahrungen auch dazu entschieden, keinen Neben-/ Zweitpartner-Status*** in Beziehungen mehr zu akzeptieren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich zu stark darum kämpfen muss, meine Autonomie zu wahren. Mein Wunsch, mich nicht zu stark über die Beziehung selbst zu identifizieren, wurde als Zeichen meiner Unwilligkeit, in die Beziehung zu investieren, gesehen, aber gleichzeitig wurden meine Bedürfnisse zu schnell als nicht valide abgetan. Ich ziehe es vor, Beziehungen einzugehen, die nicht von Hierarchie-Denken geprägt sind .

Ich lege durchaus sehr viel Wert darauf, meine intimen Beziehungen als langfristiges Projekt anzulegen und in diese Zeit, Emotionen und Gedanken zu investieren. Ich nehme Rücksicht auf die Bedürfnisse, Wünsche, Kritiken und Gefühle meiner Partner, garantiere jedoch nicht, dass darauf meine Entscheidungen basieren. Die oben genannten Investments bedeuten übrigens für keinen von beiden Partnern, dass man einen gegebenen Anspruch auf Zeit, Aufmerksamkeit, Sex oder die Gefühle des anderen hat.

Solopolyamourös zu sein bedeutet nicht, dass ich nicht auch unsicher werde, mich nie allein oder einsam fühle oder keine Beständigkeit in meinen Beziehungen brauche. Es bedeutet auch nicht, dass ich keine Bedürfnisse, Wünsche, Ziele und Prioritäten habe. Im Gegenteil: Einer der Gründe, warum ich Wert auf diese Beziehungsform lege, liegt darin, dass sie es mir ermöglicht, darauf zu achten.

 

 

*     Hauptpartner bezeichnet in diesem Kontext den Partner, der die meiste Zeit, Energie und eben die Priorität im Leben eines Menschen einnimmt. Oft zeichnen sich diese Beziehungen durch ein hohes Maß an Verbindlichkeit, Intimität und Identifikation über die Beziehung selbst aus. Weitere Kennzeichen sind zum Beispiel geteilte Ziele, Lebenswege, Finanzen und Behausungen sowie die Kindererziehung, ebenso der Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft.

 

**     Beziehungsrolltreppe: Das Standardmodell gesellschaftlicher Erwartungen für das angemessene Verhalten einer intimen Beziehung; aufeinander folgende Stufen mit klar erkennbaren Merkmalen und dem angenommenen Ziel einer dauerhaft monogamen (sexuell und romantisch exklusiven) Ehe – behördlich genehmigt, wenn möglich; der soziale Standard, an dem die meisten Leute messen, ob eine sich entwickelnde Beziehung bedeutsam, „ernsthaft“, gut, gesund, verbindlich und Wert ist, sie weiter zu verfolgen. Die Beziehungsrolltreppe ist eine strenge Einbahnstraße. Die einzig gültigen Optionen sind, sich weiter vorwärts zu bewegen oder sich zu trennen und mit einem neuen Partner nochmal anzufangen. Beziehungen, die zu lange ohne weiteren „Fortschritt“ in einer Übergangsphase bleiben oder die sich hin und her bewegen, werden als „Sackgasse“ betrachtet.

 

***     Sekundärpartner: Die Definition ist generell etwas schwierig festzumachen, aber ich verstehe darunter den Status eines Partners in polyamourösen Beziehungen, bei dem die Wünsche und Bedürfnisse des Zweitpartners automatisch weniger zählen als die des Primärpartners. Weitere Eckpunkte dieses Konstruktes können auch bereits bestehende Regeln sein, denen man sich als Sekundärpartner ohne die Möglichkeit, sie mit zu verhandeln und/oder ihnen zustimmen zu können (weil ich vielleicht gar nicht weiß, dass sie existieren), zu unterwerfen hat, sowie ein eingeräumtes Vetorecht des Metamours.  Die einzige Ausnahme, die ich für mich mache, sind minderjährige Kinder, die in die Gleichung fallen. Deren Bedürfnisse sollten in meinen Augen standardmäßig priorisiert werden.

 

Weitere Blogposts auf Englisch zu dem Thema:

http://solopoly.net/2014/12/05/whatissolopolyamorymytake/#

http://polysingleish.com/2012/07/19/singleishadventures-in-apolyamarouslovestyle/

http://www.psychologytoday.com/blog/thepolyamoristsnextdoor/201310/solopolyamorysingleishsinglepoly