Frag mich doch einfach!
Ich habe es mir zu einer Tugend gemacht, die Signale von Frauen lesen zu können. Ich will niemandem (insbesondere sexuell) zu nahe treten. Anhand der Signale, die jemand aussendet, müsste ich theoretisch erkennen können, ob meine Handlungen jemandem unangenehm sein könnten. Aber leider sind die meisten Signale nicht eindeutig oder können durch meine eigenen Wünsche falsch interpretiert werden. Als ich vor ein paar Jahren einem Freund mein Leid geklagt habe, dass (nur) Signale lesen nichts bringt, fragte er mich: Warum fragst du nicht einfach, ob es okay ist?
Angst vor Zurückweisung
Gute Frage, warum habe ich das früher nicht einfach getan? Schließlich fällt es mir in nicht sexuellen Themen sehr leicht, meine Meinung frei zu äußern (siehe auch Artikel Fastnächtliche Gedanken zu ehrlicher Kommunikation) und jeden neugierig über seine Gedanken auszufragen. Das liegt an mehreren Befürchtungen: Ein sehr zentrales Gefühl ist meine Scham. Ich schäme mich dafür, Sex zu wollen, und befürchte, ich könnte mich wegen dieser Geilheit übergriffig verhalten (mehr zum Thema Scham siehe Artikel Sitte, Ekel, Scham, Schuld, alles). Aber wenn man z.B. aus Scham nicht über seine Wünsche miteinander redet, läuft man erst recht Gefahr, etwas Übergriffiges zu tun.
Und dann ist da natürlich auch die Angst, zurückgewiesen zu werden. Wenn ich nicht bekomme, was ich will, fühle ich Frust und manchmal sogar Wut. Heute weiß ich: Statt durch fehlende Kommunikation diesen Gefühlen auszuweichen, ist es besser, sie auszuhalten. Die Zurückweisung gegen ungewolltes Verhalten kommt sowieso (insofern mein Gegenüber in der Lage ist, Grenzen aufzuzeigen), egal, ob ich frage oder nicht. Klar mache ich es durch das „Lesen der Signale“ der anderen Person einfach, eine Zurückweisung nicht aussprechen zu müssen. Eine Zurückweisung auszusprechen, kann sich schlecht anfühlen, und vielleicht waren einige Frauen durchaus froh, wenn sich das ohne verbale Kommunikation „von alleine erledigt“. Aber mal ganz ehrlich: Man spürt ja trotzdem, dass etwas Unausgesprochenes in der Luft liegt. Ich finde diese Atmosphäre noch schwerer auszuhalten als meinen Frust bzw. meine Wut. Auch ich habe schon mal eine Zurückweisung ausgesprochen, als mich eine Partnerin erregen wollte, aber ich das in diesem Moment nicht wollte. Diese Grenze zu kommunizieren, hat mir umgekehrt aber viel Sicherheit gegeben, da ich von diesem Zeitpunkt an wusste, dass meine Partnerin meine Grenzen respektiert.
Eine andere Angst vor offenem Fragen war, dass dadurch die Romantik bzw. die erotische Spannung verloren gehen könnte. Die ist natürlich unbegründet, weil es voraussetzt, dass ich meine Partnerin erst erregen müsste, bevor sie „Ja“ zu sexuellen Handlungen sagen kann. Diese Angst kommt von meinem niedrigem Selbstwertgefühl: Da ich befürchte, Frauen könnten meinen Körper allein nicht attraktiv genug finden, denke ich, ich müsste eine Frau verwöhnen, damit ich durch mein Können als attraktiv empfunden werde.
Vielleicht später
Als ich mich einmal mit einer Freundin übers Wochenende zum Kuscheln verabredet hatte, habe ich sie irgendwann während dem Kuscheln gefragt, ob ich sie küssen dürfe. Und sie antwortete „Vielleicht später“. Das war keine generelle Zurückweisung, aber dennoch eine klare Aussage, dass es noch zu früh ist. Das Beste an dieser Antwort war aber, dass sie mir signalisierte, mich interessant zu finden. Es kann also auch genau der gegenteilige Effekt meiner Angst eintreten: Durch das offene Fragen wird mir mitgeteilt, wie begehrenswert ich bin – wie schade, wenn das unausgesprochen bleiben würde.
Ich möchte gern noch von einem weiteren Erlebnis berichten: Eine alte Bekannte, die ich nicht nur sehr attraktiv finde, sondern auch für ihre Lebenseinstellung sehr schätze, hatte mich vor Kurzem auf meine Einladung hin besucht. Im Vorfeld hatten wir abgesprochen, dass wir uns zum Kochen, zum Reden und zum Vorstellen meiner Gemeinschaft treffen. Dennoch schwebte die ganze Zeit dieses Gefühl von Unausgesprochenem im Raum. Als es langsam später wurde, gestand ich ihr, dass ich gerne wieder Sex mit ihr hätte, aber gleichzeitig merke, dass sie keine Signale aussendet, die mir zeigen, sie würde genauso empfinden. Das änderte natürlich nicht ihre Stimmung, nun doch Sex mit mir zu wollen, und war für mich daher mehr eine Übung mitzuteilen, welche Wünsche ich in sexueller Hinsicht habe. Aber sie war sehr froh, dass ich es endlich ausgesprochen habe. Denn natürlich hatte sie gemerkt, dass bei mir irgendein unausgesprochener Wunsch vorhanden ist. Nach meiner Mitteilung war die Atmosphäre viel lockerer.
Fakten statt Vermutungen
Alles, was ich geschrieben habe, gilt natürlich auch für das weibliche Geschlecht. Wie gut tut es meinem Selbstwertgefühl oder kann mich sogar erregen, wenn mir eine Frau sagt, wie attraktiv sie mich findet und was sie gerne mit mir anstellen würde. Leider wurde mir das bisher nur sehr selten gesagt. Vielleicht kam ich meinem Gegenüber einfach immer zuvor und habe somit kaum Raum gelassen, selbst einen Wunsch zu äußern. Aber ich bin sicher, dass diese offene Art der Kommunikation in zwischenmenschlichen Beziehungen wesentlich dazu beitragen kann, einander besser zu verstehen und das Bild des anderen nicht nur auf Vermutungen aufzubauen.