Geschützte Räume und Grenzüberschreitungen
Meine Grenzen liegen woanders als die der anderen. Aber für Menschen, deren Grenzen in unserem Alltag schon beinahe täglich überschritten werden, werden zunehmend geschützte Räume, sog. safe spaces, geschaffen. D.h. Räume oder Veranstaltungen, auf denen niemand z.B. auf Grund von Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Einschränkung diskriminiert werden darf. In der Öffentlichkeit wird dies heiß diskutiert, da es Menschen gibt, die sich dadurch in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen – insbesondere wenn ganze Universitäten zum safe space erklärt werden. Wer jedoch einmal erlebt hat, welche Gefühle und Verletzungen diskriminierende Äußerungen und Verhalten verursachen, kann verstehen, warum safe spaces so wichtig sind. Wie soll man z.B. ordentlich studieren oder sich entfalten können, wenn man eingeschüchtert, marginalisiert oder schikaniert wird?
Nun bin ich bereit, mich stetig weiter zu entwickeln und auch mein eigenes erlerntes diskriminierendes Verhalten abzulegen. Um hier zu lernen, habe ich mich zusammen mit einer Freundin auf eine mehrtägige Veranstaltung begeben, die eigentlich um alternatives Zusammenleben abseits dem normativem Familienverständnis ging. Sie war aber auch unter der queer-feministischen Flagge als safe space gegen jegliche Art von Diskriminierung und sexueller Gewalt angelegt. Allerdings musste ich die Erfahrung machen, dass dieser queer-feministische safe space nicht der geeignete Ort war, um in meinem Prozess etwas dazu zu lernen.
Noch während der Aufbau-Tage forderte eine Person eine quotierte Küchenarbeitsteilung, d.h. dass mindestens eine männlich-gelesene Person auch die „typisch weibliche“ Arbeit machen solle. Leider war ich zu diesem Zeitpunkt die einzige männlich-gelesene Person, die dafür in Frage käme und das fühlte sich für mich wie eine Maßregelung an. Ich wollte mich sowieso für die Küchenarbeit melden, aber solche Forderungen setzen mich unter Druck. Wenn ich Arbeit machen MUSS und nicht WILL, macht sie mir automatisch weniger Spaß.
Eine Herausforderung, von der ich vorher schon wusste, war die richtige Benutzung der Pronomen. D.h. Menschen vorher zu fragen, ob sie z.B. als er, sie, x, xier, hen, they oder ohne Pronomen angesprochen werden wollen. Meistens konnte man es am Namensschildchen ablesen, aber beim intuitiven Reden schaue ich nicht auf die Namensschilder. Während ich bei den Aufbau-Tagen noch milde „als Anfänger“ belächelt wurde, wenn ich die Pronomen falsch benutzte, wurde das dann schwieriger, als die eigentliche Veranstaltung anfing. Als ich ständig böse Blicke erntete, versuchte ich zu vermeiden, Menschen überhaupt irgendwie anders als „Du“ anzusprechen, bzw. generell kein Pronomen zu verwenden. Dadurch entstehen Sätze wie z.B. „Pablo hat gesagt, dass Pablo den Abwasch macht“. Das gelang mir aber meistens leider nicht so gut. Ich fing langsam an, mich unfähig dafür zu fühlen, das richtig hinzubekommen.
Als ich eine männlich-gelesene Person daraufhin hinwies, dass sie auf dem – schlecht gekennzeichneten – FLT*I-Zeltbereich* ihr Zelt aufbaue und sie mir dann mitteilte Trans zu sein, sagte ich: „Oh entschuldige, das sehe ich dir gar nicht an“. Das war ein weiteres Fettnäpfchen, wie sich später herausstellen sollte. Denn ich wurde darauf hingewiesen, dass ich mit dieser Äußerung dieser Person die Verantwortung aufdrücken würde, dass sie als Trans erkennbar wäre.
Den Bock habe ich dann abgeschossen, als ich mit einer sexuellen Anspielung (also typisches Mackertum) eine Person getriggert habe. Zum Schutz der betroffenen Person will ich die Situation an dieser Stelle nicht schildern, aber ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so heftige Scham- und Schuldgefühle empfunden habe. Obwohl die Person mir für diese Grenzüberschreitung wahrscheinlich verziehen hat, fühlte ich mich wie ein Vergewaltiger und Versager, weil ich den safe space nicht halten konnte. Ich muss wohl erst lernen noch vorsichtiger zu werden. Als die Gefühle auf beiden Seiten hoch kochten, lief die Sache Gefahr zum Veranstaltungs-Thema zu werden und deswegen musste ich die Veranstaltung vorzeitig verlassen.
Ich kann vorsichtiger und sensibler für die Grenzen des anderen werden und natürlich kann man einiges auch vorher absprechen. Aber egal, wie gut ich darin werde, die Signale des anderen zu lesen und Konsens durch Absprachen herzustellen, kann es sein, dass ich trotzdem die Grenzen des anderen verletzen könnte. Könnte man sich nicht auch zusammen bewusst machen, dass man sich gegenseitig verletzen könnte und man durch das Spüren dieser Grenzen einander besser kennenlernen kann? Ich kann Menschen verzeihen, wenn sie meine Grenzen überschreiten, solange ich merke, dass der andere es bereut und es in Zukunft besser machen will. Dazu braucht es aber sehr viel Mut, sich einander auszusetzen bzw. zuzumuten. Diese Funktion hat ein safe space jedoch nicht. Hier geht es nicht um die gegenseitige Auseinandersetzung, sondern um den Schutz vor Grenzüberschreitungen. Deswegen finde ich safe spaces extrem wichtig, da Schutzräume etwas sehr Kraftspendendes sein können. Als polarisierender Mensch wie ich, der die Auseinandersetzung miteinander sucht, habe ich dort jedoch nichts zu suchen.
* FLT*I steht für die Abkürzung Frauen, Lesben, Trans* und Intersex und wird dort als Bezeichnung für Bereiche genommen, die frei von männlicher Dominanz und Mackertum sein sollen.