Im Rollenkorsett?

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photo credit: Ángeles via Flickr cc

In meiner Jugendzeit war ich ein bisschen politisch – nicht in einer Partei aktiv oder so, aber vom Prinzip her doch sehr links und für meine Verhältnisse auch sehr gewillt, diese Meinung nach außen zu vertreten. Mittlerweile bin ich ein ganzes Stück gemäßigter, habe in einigen wenigen Punkten sogar eine konservative Ansicht, aber Themen wie Gleichberechtigung zählen immer noch zu meinen Steckenpferden. Von einer früher eher feministisch geprägten Sichtweise bin ich auf eine Position umgeschwenkt, in der ich mir wünsche, dass alle Menschen gleiche Chancen bekommen. Wobei es natürlich ein paar Überbleibsel aus der feministischen Zeit gibt: Bei sexistischer Werbung – und nach meiner Definition ist fast jede Werbung, in der eine leicht bekleidete Frau zu sehen ist, die zusätzlich noch gephotoshopt wurde, sexistisch – sehe ich nach wie vor rot.

Was ich zu keiner dieser Zeiten nachvollziehen konnte, ist der Vorwurf bestimmter politischer Gruppen, dass BDSM etwas mit der Unterdrückung von Frauen zu tun habe. Ich muss gestehen, dass mir überhaupt erst nach ein oder zwei Jahren aktiver BDSM-Zeit in den Sinn kam, dass meine BDSM-Neigung einen ​Widerspruch mit meiner Rolle als Frau hätte verursachen können (sollen?) – weil man, zumindest als devote oder masochistische Frau, auf den ersten Blick vom Mann unterdrückt wird. Nach etwa dreiminütigem Nachdenken über das Problem habe ich es damals wieder ad acta gelegt, einfach weil es für mich nie ein Problem war. Das kam daher, dass sich BDSM von Anfang an sehr richtig für mich angefühlt hat. Ich fand es in diesem Zusammenhang beispielsweise nie schlimm, „Schlampe“ genannt zu werden, weil das innerhalb einer Session fast schon Kosename-Charakter für mich hat und ansonsten immer klar war, dass es ein Element einer Session ist. Auch heute fühlt es sich oft so an, dass ich „heimkomme“, wenn ich auf einen BDSM-Stammtisch gehe. Warum sollte etwas, das sich so gut anfühlt, falsch sein?

Ich finde auch rational keine Anhaltspunkte, was an BDSM „falsch“ sein sollte. Die Unterdrückung der Frau trifft zum einen schon nicht mehr zu, sobald die Frau dominiert – bekanntermaßen gibt es die verschiedensten Rollenverteilungen in der BDSM-Szene. Zum anderen trifft jeder Beteiligte eine freie Wahl, d.h. alle Handlungen erfolgen im beiderseitigen Einverständnis. Es ist für mich eher ein Zeichen selbstbestimmter Sexualität, dass ​frau sich bewusst für BDSM entscheidet und das dann ausübt.

Allerdings kommt man nicht umhin zu sehen, dass in der Szene ein großer Teil der Männer dominant und ein großer Teil der Frauen devot ist. Das wirkt auf Parties gelegentlich etwas skurril oder „erschlagend“, weil man dann durchaus einen kurzen Moment nachdenkt, ob man gerade im falschen Film ist und warum es nicht ein paar mehr dominante Frauen gibt. Ich weiß keine abschließende Erklärung für dieses Phänomen – auf einem Frauenstammtisch, in dem es um „weibliche Dominanz“ ging, gewann ich den Eindruck, dass viele Frauen erst mit zunehmendem Alter und wachsender BDSM-Erfahrung auf die dominante Seite wechseln. Ich bezweifle, dass das alles ist, was dahinter steckt, aber möchte jetzt auch nicht wild spekulieren, ob die weibliche Psyche oder die Erziehung in unserer Gesellschaft oder etwas ganz Anderes dafür verantwortlich ist.

Abgesehen davon: Muss man Sexualität überhaupt politisieren? Ich finde nicht. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass alle Beteiligten sich frei dafür entscheiden und nichts tun, was bleibende Schäden hinterlässt. Aber ansonsten ist es doch gerade im Bett einfach mal Zeit dafür, das Denken auszuschalten, aufzuhören darüber nachzudenken, wie das wohl die Nachbarn finden und einfach mal zu ​machen. Es ist meines Erachtens auch völlig unerheblich, ob der Top einen Führungsjob hat oder nicht oder ob Sub einen hat. Die einen sehen ihr Sexualleben als Ausgleich für ihr Berufsleben, die anderen als Erweiterung, wieder andere sehen gar keinen Zusammenhang.

Um nochmal auf die Politik zurückzukommen: ​Die einzige politische Frage, die mich in diesem Zusammenhang gelegentlich beschäftigt, ist die, ob wir eine Lobby bräuchten. Bisher gibt es in Deutschland die Bundesvereinigung Sadomasochismus, die sich unter anderem in der Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit aktiv ist. Ich kriege wenig davon mit, bin aber wahrscheinlich auch nicht die Zielgruppe der Aktivitäten. Wir haben in Deutschland an sich die komfortable Situation, dass die Ausübung von einvernehmlichem BDSM im Regelfall nicht illegal ist (vgl. die rechtliche Situation hier). Insofern ist fraglich, inwieweit überhaupt die Notwendigkeit für Lobbyarbeit besteht – natürlich wäre es schön, wenn jeder über das Thema grundlegend Bescheid wüsste und alle insgesamt toleranter wären, aber solange viele BDSM-ler sich sowieso nur im engsten Freundeskreis outen und gar nicht offiziell von den Nachbarn anerkannt werden wollen, kommt man hier wohl nicht weiter. Wahrscheinlich geht da sogar noch mehr über die Kulturschiene, Stichwort Fifty Shades of Grey.

Mir persönlich wäre es wichtig, dass wir in unserer Gesellschaft allgemein ein offeneres Verhältnis zu Sexualität entwickeln – wer im Detail welche Sexualität ausübt, ist ja letzten Endes egal, und ich unterhalte mich mit Vanilla-Freunden schließlich genauso oft über mein Sexualleben wie mit Poly-Leuten oder BDSM-Anhängern. Wie wir das offenere Verhältnis hinbekommen, weiß ich auch nicht ganz, aber aufzuhören, bestimmte Rollenverteilungen zu politisieren, wäre auf jeden Fall ein Anfang.