Kann man Sex lernen?
Ich durfte kürzlich ein wahrhaft berührendes Berührungscoaching als Modell erleben. Ein junger Würzburger war extra angereist, weil er, wie er selbst sagte, alles noch besser können möchte, wenn er das nächste Mal eine Freundin hat. Wie möchten Frauen angefasst werden? Wie helfe ich ihr, sich zu entspannen und mir zu vertrauen? Das waren nur einige seiner Fragen, die wir in Wort und Tat beantwortet haben.
Der junge Mann durfte unter Anleitung von Coach Iris an mir und mit meiner Unterstützung Berührungen und Massagetechniken üben und ausprobieren. Es war auch für mich wieder einmal eine sehr bereichernde Erfahrung, in respektvoller und gleichermaßen humorvoller Atmosphäre über die technischen Aspekte hinaus auch jede Menge wertvolles Wissen über Sexualität, den weiblichen Körper, Berührung und Lust weiterzugeben – und dabei mit so manchem Missverständnis aufzuräumen.
Gut im Bett
Wer wäre das nicht gern? Wer glaubt, sie sei es? Wie ist sie es geworden? Was heißt das überhaupt? Trotz der ständigen Präsenz von Sex in unserem alltäglichen Leben – man schaue sich nur die Werbung an – haben wenige das Gefühl, wirklich zu wissen, wie sie erfüllenden und befriedigenden Sex haben können. Die meisten scheinen davon auszugehen, Sex sei etwas, das mensch einfach von Natur aus kann. Fragen zu haben und zu stellen löst daher Scham aus. Die Anonymität des Internets schafft augenscheinlich Abhilfe, hier finden sich Unmengen an Informationen. Das Problem ist nur: Wie finde ich heraus, was wirklich stimmt? Wie kann ich bestimmte Fertigkeiten erlernen und üben? Darf ich mir aufregenderen und vielfältigeren Sex überhaupt wünschen? Und: wie finde ich bloß die Zeit dafür? Es ist paradox, dass bei aller „Übersexualisierung“ das sinnliche Vergnügen an sich und die damit verbundene Lebensfreude als etwas eher Nebensächliches angesehen wird. Etwas, um das man sich kümmert, wenn die Arbeit getan und alle Pflichten erledigt sind.
Sex als Hobby
Dabei würden doch die Wenigsten behaupten, dass ihnen Sinnlichkeit und Erotik nicht gut tun und Freude machen? Wenn uns eine andere Tätigkeit gefällt, sei es Töpfern, Tanzen oder Kochen, verwenden wir üblicherweise eine Menge Zeit und Sorgfalt darauf, darin eine gewisse Könnerschaft zu erlangen. Wir lernen Fertigkeiten und Tugenden, die wir für eine vortreffliche Ausübung der entsprechenden Praxis brauchen. Wir tauschen uns mit anderen aus, die unser Interesse teilen.
Ich finde, Sexualität kann – und sollte – ebenso als eigenständige Praxis betrachtet werden, eine Tätigkeit, die um ihrer selbst willen ausgeübt wird und bei der es vor allem darum geht, sie gut und freudvoll auszuüben. Sie beinhaltet verschiedenste Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man lernen und denen man sich üben kann. Zum Beispiel Wissen über den menschlichen Körper, Selbstkenntnis, Kommunikation, Empathie, Intuition, Sorgfalt, Respekt, Konzentration, Verantwortung und Mut. Wenn wir die Dinge so betrachten, ist eine erfüllende Sexualität nicht mehr etwas, das mit etwas Glück vom Himmel fällt – zum Beispiel in Form des perfekten Liebhabers oder Liebhaberin. Wir haben es selbst in der Hand (bzw. Mund bzw. …), für unser körperliches und emotionales Wohlbefinden und das unserer Lieben zu sorgen und damit zu einem glücklichen Leben beizutragen.
Wie bei jeder anderen Praxis sind die Tugenden und Fertigkeiten, die wir beim Üben von Sex entwickeln, auch in anderen Lebensbereichen überaus nützlich. Wir können, zum Beispiel, üben, den Menschen offen, respektvoll und achtsam zu begegnen. Wir können Verantwortung für unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse übernehmen. Wir können Lust und Freude priorisieren und kultivieren. Wir können Erwartungen loslassen und Begegnungen spielerisch begreifen, als Chance, unsere Fertigkeiten weiter zu perfektionieren.
In meiner Version einer menschenfreundlichen sexuellen Kultur sind sexuelle Bildung und Kunstfertigkeit akzeptierte Freizeitbeschäftigungen. Die Pflege von Sinnlichkeit und Erotik ist ein ganz normaler und geschätzter Teil eines guten und glücklichen Lebens.
Unterricht in Liebesspiel
Kürzlich coachte ich selbst ein Paar, das nach 15 Jahren gemeinsamen Lebens wieder Leben in ihre Sexualität bringen wollte. Wir hatten ein sehr intensives Beisammensein, von dem die beiden viele Impulse mit nach Hause nahmen. Neben diversen Massage- und Berührungstechniken auch Dinge wie: Sich bewusst und regelmäßig Zeit nehmen. Sich aufeinander einschwingen. Präsenz zeigen und gehalten werden. Vor allem auch: miteinander reden. Was gefällt dir? Wo und wie möchtest du berührt werden? In den Berührungscoachings geht es in der Regel nicht in erster Linie darum, bestimmte Techniken oder einen Massageablauf zu lernen, sondern um Kommunikation und darum, das Liebesspiel wirklich als solches zu betrachten: ein unendliches Spiel, bei dem es nicht darum geht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern darum, miteinander weiterzuspielen und sich dabei flexibel und genussvoll sich ändernden Umständen anzupassen.
Möglichkeiten
Das Berührungscoaching ist ein einzigartiges und innovatives Format jenseits der Anonymität des Internets und zuweilen anstrengenden Gruppensettings. Es ist nur eines von vielen Beispielen, wie das besondere Setting der Tantramassage in Verbindung mit einem vertrauensvollen Dialog einen einzigartigen Rahmen für sexuelles Lernen und damit für die Weiterentwicklung sexueller Kultur schafft.
Derzeit entwickelt sich, zum Glück, ein neuer Berufstand, der mehr und mehr Angebote im Bereich sexuellen Lernens macht. Es ist für unsere KundInnen jedoch immer noch nicht einfach, herauszufinden, dass es Formate gibt, die ihren Anliegen entsprechen, sei es Massage, Coaching oder Beratung. Deshalb gibt es seit Anfang des Jahres ein neues Online-Verzeichnis, auf dem Angebote ganzheitlicher Körperarbeit im Bereich Sexualität auffindbar sind. Auf diese und andere Arten und Weisen wird es hoffentlich in Zukunft selbstverständlicher werden, sich in dieser Richtung mit kundiger und professioneller Hilfe weiterzuentwickeln. Wir dürfen gespannt sein.
Vielen Dank, liebe Eva, dass du dieser wichtigen Frage nachgehst und einige Ansätze findest, wie wir sie beantworten können.
Eva arbeitet seit 2013 hauptberuflich als Tantramasseurin. Man kann ihre Massage hier erleben.
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Gut im Bett…
… finde ich grundsätzlich eine schwierige Formulierung und imho sind alle, die das von sich behaupten es auf jeden Fall nicht.
Es geht nämlich nicht darum, besondere Techniken anzuwenden, dass schreibst du ja auch im Artikel, es geht vielmehr um Einfühlsamkeit, die man meiner Ansicht nach auch nicht wirklich lernen, aber ausbilden kann.
Dabei frage ich mich aber, ob das so sinnvoll ist, dies an Menschen zu probieren, die dann nachher nicht mit mir in Beziehung sind. Ich finde das Berührungscoaching nicht falsch, aber ich denke, dass eine Ausrichtung darauf mit dem Partner zu kommunizieren und sich abzusprechen, mit ihm gemeinsam ein Weg gefunden werden kann.
Menschen die mit mir in körperlicher Interaktion sind, sagen immer wieder: Ich hab halt nicht so viel Erfahrung wie du. Das kann sein, ist aber auch nicht notwendig. Achtsamkeit macht Erfahrung mehr als wett, Einfühlung genauso, dass habe ich in Massagekursen auch immer zu vermitteln versucht, in diesem Sinne könnte sogar eine Meditation, die das Bewusstsein in diesem Bereich hebt, meiner Ansicht nach sinnvoller sein, als ein gleich drauf los berühren, auch wenn ich Eva das natürlich gönne 😉
Ein sehr wichtiger Bericht. Bei den heutigen Rahmenbedingungen in der Gesellschaft verliert die Mehrheit der Menschen die Beziehung zu sich selbst. Dabei ist es das wichtigste Fundament, die Beziehung zu sich selbst aufs neue zu erfahren. Daher besitzen wir zwei Ohren und nur einen Mund. Zuhoeren und in sich hineinhoeren sind wichtiger denn je. Abruesten von Perfektionismus und Funktionieren ist genauso entscheidet fuer jede Beziehung, ob zu sich selbst und zu anderen.Daher finde ich es sehr gut, dass es Menschen wie Eva gibt, die das hervorholen, was in jedem Menschen schon angelegt ist: Seine Einzigartigkeit!