Männlich und Sub – eine Herausforderung?
Für mich war es eine besondere Freude, als Gastautor für diesen tollen Blog angesprochen zu werden. Denn genau vor 10 Jahren kam ich – nachdem ich lange in einer monogamen Vanilla-Beziehung gelebt habe – in die BDSM-Szene, sammelte erste Erfahrungen und lernte schließlich sogar meine Partnerin und spätere Ehefrau kennen. Daher ist es auch für mich eine gute Gelegenheit, über eine sehr lange Zeit zu reflektieren, die stark mein heutiges Beziehungs- und Sexualverhalten geprägt hat. Auf Wunsch der Blogbetreiber verfasste ich daher eine Art Erfahrungsbericht: Wie fühlt man sich als submissiv-masochistischer Mann unter all den devoten Frauen in der Szene? Manchmal durchaus fehl am Platz – aber nicht aufgrund der Frauen, sondern vielmehr durch das gelebte Geschlechtsklischee der CIS-Männer!
Ich erinnere mich hier noch sehr lebhaft an meine allererste Party: Das war damals im Culteum in Karlsruhe auf der Private Play Party 2008, die von meiner damaligen WG-Mitbewohnerin organisiert wurde. Entsprechend aufgeregt war ich und legte viel Wert auf mein Partyoutfit, inklusive eines edlen Halsbandes, mit welchem ich meinen Status als submissiv-masochistisch deutlich ausdrücken wollte. Vor Ort kam ich schnell mit vielen Bekannten aus der Szene und dem SMJG-Umfeld sowie ganz neuen Menschen ins Gespräch, bemerkte aber einen Umstand recht schnell: Auch wenn abweichende Präferenzen hier an der Tagesordnung waren, herrschte doch eine recht klare geschlechtsorientierte Trennung: Die überwiegende Mehrheit der CIS-Männer war deutlich dominant / sadistisch orientiert, während ich zugleich eine Fülle an unglaublich hübschen devoten Frauen um mich hatte. Das verunsichert natürlich im ersten Moment erst einmal, denn man fühlt sich ein wenig ohne eine Peer-Group, die einem ein positives Feedback zum eigenen Verhalten liefert. Deutlich unangenehmer waren jedoch die Blicke und Reaktionen der anwesenden dominanten CIS-Männer auf mich: Die Blicke variierten von einem gewissen Maß an Mitleid bis hin zur offener Verachtung – als wäre meine Präferenz als submissiv-masochistischer Mann nicht vereinbar mit ihrem Blick und ihrer Wahrnehmung dessen, was das „Männlichsein“ ausmacht. Als würde ich sie in ihrer Stellung durch meine Präferenzen irgendwie bedrohen, was stellenweise auch in einer gewissen Feindseligkeit Ausdruck fand. Unvergessen an dieser Stelle, wie mir jemand in bestem Mensplaning-Duktus zu erklären versuchte, dass ich anscheinend nur verwirrt sei und einfach mal „auf den richtigen Geschmack“ kommen müsste.
Dass ich dabei unbewusst mit einigen der anwesenden Herren geflirtet habe, verschlimmerte wahrscheinlich auch nochmals die Situation, erschütterte es anscheinend die eigene Geschlechtsidentität meiner Gesprächspartner.
Für die anwesenden Frauen wiederum war ich mehr oder minder nicht-existent: Als offen submissiv auftretender Mann war ich weder interessant als möglicher Sexualpartner noch stellte ich eine Gefahr im „Konkurrenzkampf“ um die Aufmerksamkeit der Doms dar. Es war eine Form der stillschweigenden Akzeptanz unter ähnlich Gesinnten, die ich hier verspürte.
Auch in den folgenden Jahren ist mir das Phänomen immer mal wieder untergekommen, primär jedoch bei Doms, die älter als ich waren und/oder dem sog. TPE-Umfeld zuzurechnen waren (von einigen sehr großartigen Ausnahmen abgesehen). Es schien so, als wäre man der Ansicht, die natürliche Ordnung sehe Männer „oben“ und Frauen „unten“ vor – und devote/submissive/masochistische Männer seien keine „richtigen“ Männer. Denn in der Wahrnehmung dieser Gruppe würden sie Eigenschaften an den Tag legen, die hier primär mit Frauen und damit einem gewissen Maß an Weiblichkeit assoziiert sind. Im Umkehrschluss: Wer sich also so verhält, wird schnell als „verweiblicht“ abgestempelt und als unmännlich betrachtet. Gerade für einen Szene-Neuling, der ich damals war, keine leichte Sache – zumal, wenn man sich nochmals die Verteilung der Rollen und Geschlechter vor Augen hält.
Interessanterweise traf ich auf dieses Phänomen jedoch nur bei rein heterosexuellen Männern – auf queeren Parties ist die Stimmung eine deutlich angenehmere und für mich auch freiere. Hier ist es normal, dass alle Spielarten des BDSM-Spektrums frei über alle Geschlechtergrenzen vertreten sind und auch heteronormative Preismodelle, die diese Ansichten meines Erachtens noch weiter zementieren, sind deutlich unüblicher.
In einer Szene, die jedoch sonst so viel Wert auf Toleranz und Akzeptanz legt, war es für mich erst einmal erschreckend, zu erleben, dass es anscheinend für einen gefühlten Großteil der Menschen eine Art von „richtigem“ und „falschem“ BDSM gab. Gerade, wenn man seine ersten Schritte hier macht, kann das sehr niederschmetternd sein und dazu führen, dass man sich ausgegrenzt fühlt. Schnell kommen dann Gedanken auf à la „Was genau stimmt denn nicht mit mir, wenn ich nicht einmal in dieser Szene ‚normal’ bin?“
Ich brauchte einige Zeit, um hier den richtigen Umgang mit dem Phänomen für mich zu finden – und fing dann an, CIS-Männer, die mich so behandeln, direkt zu konfrontieren. Etwa, indem ich konkret nachfrage, ob er sich durch mich verunsichert fühle, ob er ein Problem mit meinen offen gezeigten Neigungen habe, was denn seine Vorstellungen von BDSM seien etc. Das verwirrt viele, denn anscheinend gehen sie auch automatisch davon aus, dass man als devoter/submissiver/masochistischer Mensch „seinen Platz kennt“ – und nicht unbedingt selbstbewusst und selbstbestimmt auftritt. Hierbei half mich natürlich auch die Akzeptanz und Zuneigung meiner Partner*innen, die es mir ermöglichten, mich zu emanzipieren und mich nicht automatisch von einem bestimmten Rollenverhalten gefangen nehmen zu lassen.
Inzwischen nehme ich vieles davon nicht mehr bewusst wahr, da ich inzwischen lange genug in der Szene bin und vielleicht auch ein gewisses Standing habe. Aber es ist immer noch vorhanden und für viele Szeneneulinge sicher abschreckend und maximal unangenehm. Eine Lösung hierzu könnte nur erreicht werden, wenn wir uns gesamtgesellschaftlich von bestimmten Rollenklischees und -vorstellungen frei machen könnten und es damit erlaubt wäre, ein breiteres und vielschichtigeres Rollenbild für Mann, Frau und alle Gradienten und Abstufungen dazwischen zu entwickeln. Aber bis es soweit ist, wünsche ich jedem devoten Szeneneuling ein so positives Umfeld, wie ich es mir aufbauen konnte – denn es erlaubt, sich selbst zu entdecken und zugleich zu seinen eigenen Neigungen stehen zu lernen.
Vielen Dank, Eternal_Scholar, für deine mutigen und ehrlichen Worte. Wir schätzen, dass du das Thema so offen thematisierst und hoffen, dass viele unserer Leser*innen zu einem solch positiven Umfeld beitragen.
Eternal_Scholar ist seit fast 10 Jahren mit seiner Frau verheiratet. In dieser Zeit war er unter anderem als Vereinsvorstand der SMJG viel für die Szene aktiv. Inzwischen kümmert er sich vor allem um Projekte im medienwissenschaftlichen und computerarchäologischen Bereich.
Ein genialer Artikel – vielen Dank! Leider 2022 immer noch aktuell. Ein male Sub 🙂