Metamorphosen

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Normative Vorstellungen von Beziehungen involvieren einen Aspekt, der für mich bisher immer eine Quelle von Unsicherheit beinhaltet hat: eine erfolgreiche Beziehung bedeutet, dass sie sich nur in eine Richtung weiterentwickeln kann – die Reduzierung der Intensität einer Beziehung wird normalerweise als Indiz dafür genommen, dass etwas zwischen den beiden Beziehungspartnern nicht mehr passt. Ich möchte mein Leben nicht im Voraus festlegen und Verpflichtungen eingehen ohne zu wissen, welche Veränderungen in meinem Leben oder dem der Personen, mit denen ich in einer Beziehung bin, noch eintreten.

Seitdem ich mich mit den Konzepten von Beziehungsanarchie und Polyamorie auseinandersetze, ist es mir jedoch auf einmal wieder leichter gefallen, mich anderen Menschen und Beziehungen zu öffnen. Auf einmal habe ich nicht nur eine Möglichkeit, sondern Aspekte von zeitlicher, räumlicher, emotionaler, sexueller Ebene können sich individuell an die Bedürfnisse der Menschen in der Beziehung anpassen. Das empfinde ich in erster Linie als Erleichterung, da ich meinen Raum so gestalten kann, wie ich es brauche – allerdings gibt es auch eine starke Kehrseite. Es kostet mich das Gefühl von Sicherheit und Beständigkeit. Natürlich gibt es für niemanden von uns jemals eine Garantie, dass sich unsere Lebensumstände nicht verändern werde. Keiner von uns weiß, ob wichtige Herzensmenschen uns für den Rest unseres Lebens erhalten bleiben, aber die herkömmliche Herangehensweise an Beziehungen: das Treuegelöbnis, das Versprechen der Exklusivität können ein Gefühl von Sicherheit generieren.

Wandlungsmöglichkeiten in Beziehungen bringen natürlich auch die Option der Deeskalation der Beziehung mit sich, also die Option die Intensität der Beziehung wieder zu vermindern oder sie nicht weiter voranzutreiben – sowohl von meiner als auch von Seite meines Freundes/Partners. Der Gedanke daran ist mir durchaus unangenehm und ich habe in den letzten Wochen häufig verschiedene Szenarien in meinem Kopf hin- und her bewegt, wie ich damit umgehen möchte und könnte, welche Wege ich einschlagen kann. Im Folgenden habe ich verschiedene Herangehensweisen zusammengetragen, die ich für mich als Leitliste festhalten möchte. Weitere Eingaben und Vorschläge werden gerne angenommen.

1. Je nach Intensität und Art der Beziehung stellt sich mir die Frage, ob ich das Thema des Veränderungswunsches anspreche, mich dem anderen erklären möchte, oder die Beziehung einfach auseinanderdriften lasse. Wenn ich etwas mehr Abstand von einem Menschen möchte, ihn aber nicht aus meinem Leben verlieren möchte, würde ich persönlich eher zu der ersteren Variante greifen.

2. Gerade in den letzten Jahren habe ich verstärkt die Vorgehensweise verfolgt, dass ich konfuse, unklare Gedankengänge in meinem Kopf nicht direkt auf die betreffende Person ablade, sondern mir die Möglichkeit gebe, mit der Ungewissheit zu leben, die Unsicherheit mit mir herumzutragen und darüber nachzubrüten, was ich eigentlich möchte. Gespräche mit engen Freunden oder sogar frischen Bekannten haben häufig dazu beigetragen, dass ich mit größerer Klarheit zurück in die Situation gegangen bin. Deeskalationen machen Angst und wenn ich Angst habe, neige ich dazu, verbal um mich zu schlagen, nur um das Gefühl loszuwerden, verletzlich zu sein. Das verhindert auch häufig, dass ich zuhören kann und die Bedürfnisse meines Gegenübers getrennt von meinen eigenen wahrnehmen kann.

3. Wir alle haben vermutlich bereits Freundschaften gehabt, die unterschiedliche Stadien von Nähe durchlaufen haben, abhängig von räumlichen Abstand, zeitlicher Verfügbarkeit etc. Es ist in unserem vollgepackten Leben ziemlich normal, einigen Menschen eine Zeit lang weniger Raum einzuräumen, egal wie gut sie uns tun. Viele meiner sehr engen Freundschaften haben diese Phasen durchlaufen. Warum sollte das gleiche nicht auch für romantische Beziehungspartner gelten?

4. Mir hilft zusätzlich der Gedanke, dass ich den Menschen, mit dem ich eine Beziehung führe, mag und respektiere. Da mir die Einwilligung meines Gegenübers wichtig ist und ich es wert bin, dass dieser aus einer enthusiastischen Zustimmung heraus mit mir zusammen sein möchte, ist es mir lieber ohne den anderen zu sein, wenn das nicht mehr gegeben ist.

5. Es gibt Beziehungen, die sehr flexibel darin sind, zwischen engem Kontakt und losem Miteinander hin und her zu pendeln. Es gibt Menschen, mit denen es mir leichter fällt, zwischen sehr enger und vertrauter Zeit in Abwechslung mit wochenlang keinem Wortwechsel zu wechseln und es gibt Menschen, mit denen das zu sehr weh getan hat. Die andere Person hat immer die Option, Intimität nicht weiter zu vertiefen oder sich wieder ein Stück aus der Beziehung zurückzunehmen, aber wenn der Schmerz darüber tatsächlich zu groß ist, habe ich auch schon die Möglichkeit gewählt, mich für eine Zeit (oder für immer) von dem anderen Menschen zu distanzieren.

Ich vermute, dass es wenige Wege gibt, Deeskalationen mit Menschen, deren Gefühle und Wohlbefinden uns am Herzen liegen so zu gestalten, dass alle ohne Schmerzen oder Wehmut aus der Situation herauskommen. Aber ich denke, mir hilft es, wenn mir die Möglichkeit gegeben wird, über die Situation zu reden und Missverständnisse zu klären, gegenseitige Unterstützung anzubieten und eine Grundlage für gegenseitiges Verständnis anzubieten.