Nackt

photo credit: .Kikaytete.QNK via photopin cc

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Nacktheit kann sich gut anfühlen. Erregend sein. Befreiend sein. Leichtigkeit verheißen. Sich ganz normal anfühlen.

Aber warum verbinden wir mit Nacktheit dann so oft Scham und Angst? Warum ist es unser beliebtester Albtraum, nackt vor der Klasse zu stehen? Was ist schiefgelaufen in unserer Gesellschaft?

Eines vorab: Ich weiß es nicht. Ich könnte das jetzt kulturhistorisch nachrecherchieren, aber ich bin recht sicher, dass mir das keine befriedigende Antwort verschaffen würde. Ja, wahrscheinlich landen wir wieder beim alten Thema Macht, das ich ansonsten sehr gern mag, aber das Symptom ist weitaus umfassender: Wir sind nicht nur gegen Nacktheit, wir sind allgemein gegen Intimität. Berührungen sind nur in einem engst umgrenzten Rahmen akzeptiert und anerkannt – obwohl wir biologisch nicht auf Einzelgängertum gepolt sind. Und dann wundern sich noch Leute, dass es Kuschelpartys gibt? Ernsthaft?

Wenigstens kommt das Thema gelegentlich zur Sprache, zum Beispiel in diesem und in diesem Polyblog, aber auch auf Zeit Online, wo Rebecca Martin schreibt: „Niemanden zum Kuscheln zu haben ist ein Schicksal, dem viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Man muss da knallhart jede Gelegenheit ergreifen, die sich einem bietet. Manchmal verspüre ich sogar in der U-Bahn das dringende Bedürfnis, mich an meinen Sitznachbarn zu schmiegen. Ich finde, Kuscheln ist ein Grundrecht, das selbst emotional stabilen Singles zusteht.“ Wobei hier aber auch wieder die gesellschaftlich gängige Vorstellung genährt wird, dass Kuscheln so ein Beziehungsding ist.

Kann es sein, aber muss es nicht. Zum einen hat jeder ein unterschiedliches Nähebedürfnis und warum soll zum anderen der Partner automatisch der Heilsbringer sein, der das komplette Kuschelbedürfnis abdeckt? Wir haben außerhalb von Familie und Partnerschaft eine wichtige andere Komponente, der in vielerlei Kontext viel zu wenig Beachtung geschenkt wird: Freunde. Aber halt, wir berühren Freunde ja nicht – natürlich umarmen wir sie zur Begrüßung und zum Abschied, nehmen sie bei Liebeskummer in den Arm, gehen (als Frau!) gelegentlich sogar mit unserer besten Freundin händchenhaltend durch die Stadt, aber damit dürfte ich 90 Prozent der üblichen Situationen abgedeckt haben.

Das Schwierige an dieser Gewohnheit ist, dass es uns entsprechend schwerfällt, sich natürlich zu verhalten, wenn es umgekehrt dann wirklich zu solchen Situationen mit Nähe oder Intimität kommt. Das Schöne ist, dass man sich auch selbst umpolen kann. Die Gelegenheit, bei der ich regelmäßig ungezwungensten Körperumgang sehe, sind BDSM-Parties, was im ersten Moment skurril klingen mag. Hintergrund ist, dass auf diesen Parties viele Menschen nur spärlich bekleidet unterwegs sind – was anfangs ein etwas heftiges Erlebnis sein kann. Auf meiner ersten Party ging es mir so, dass ich mich die erste Stunde ständig latent überfordert gefühlt, aber dann die Situation akzeptiert habe. Und als es mir gelang, wieder die Menschen statt die nackten Körper zu sehen, war es kein Problem mehr. Mittlerweile gehe ich auch knapp bekleidet auf solche Parties und fühle mich vor allem auch dann noch wohl, wenn mein Oberteil verrutscht und umstehende Leute meine Unterwäsche sehen können – auf einer „normalen“ Party undenkbar. Ausschlaggebend dafür ist, dass die meisten Leute dort sehr offen sind und andere Leute mit ihren Vorlieben und Wünschen akzeptieren, was bei allen ein gewisses Grundvertrauen aufbaut – schließlich sind alle irgendwie pervers*. Dort ist Gruppenkuscheln übrigens auch überhaupt kein Problem.

Meine Forderung? Dürfte klar sein – mehr körperliche Nähe für alle. Meine Lösung, wie wir das erreichen bzw. verbessern können? Ich hab keine – außer dass sich jeder einen entsprechend offenen Freundeskreis sucht und das dort einfach praktiziert. Damit es irgendwann normal wird, dass auch Männer, die kein Pärchen sind, händchenhaltend durch die Stadt gehen, die Fünferclique ineinander verschlungen auf dem Sofa liegt und Filmabend macht und Menschen sich auch einfach wieder als das wahrnehmen, das sie sind: Menschen.

* Pervers in der BDSM-Szene ist kein Schimpfwort, wie es oft im Standard-Sprachgebrauch verwendet wird, sondern eher eine liebevolle Beschreibung derer, die BDSM ausüben und daher ja alle pervers sind.