Sexarbeit und Sexdating
Ich habe mich mit einer Sexarbeiterin verabredet. Warum sollte das jemand, der im „besten Alter“ ist und der auch keine Probleme hat, Frauen anzusprechen, tun? Der Grund ist, dass ich Fotos brauche. Und natürlich nicht irgendwelche Fotos, sondern solche mit erotischem Anklang. Ich habe vor, mich auf einer Sexdating-Platform anzumelden und um dort zwischen der ganzen männlichen Konkurrenz aufzufallen, muss man sich schon etwas besonders darstellen. Das Erste, auf das die potenzielle Sexpartnerin schaut, ist natürlich das Foto, und wenn man auf diesem Foto wie jemand aussieht, mit dem sich Frauen gerne auf ein Rendezvous treffen, dann ist die halbe Miete schon gewonnen – hoffe ich. Ich brauchte also professionelle Unterstützung für ein ordentliches Partnershooting.
Warum sollte sich jemand, der im „besten Alter“ ist und der auch keine Probleme hat Frauen anzusprechen, auf einer Sexdating-Webseite anmelden? Zur Zeit habe ich zwar ein paar Liebhaberinnen und will die Beziehung zu diesen auch pflegen – allerdings wohnen sie alle am anderen Ende von Deutschland, weshalb man sich zu selten sieht. Für zusätzliche emotionale Aufmerksamkeit habe ich vermutlich kaum Kapazitäten frei, aber was körperliche Bedürfnisse angeht, könnte ich noch ein paar Kontakte in Berlin gebrauchen. Ob eine Sexdating-Webseite allerdings dafür die erhoffte effiziente und unkomplizierte Möglichkeit bietet, an diese Kontakte zu kommen, wird sich noch zeigen – ich befürchte leider nicht, egal wie gut die Fotos werden.
Überrascht war ich dann jedoch über den Verlauf des Abends. In meinem Kopf hatte ich die Erwartung, dass wir nur ein paar Fotos machen und dass alles zwar locker, aber relativ geschäftlich über die Bühne geht. Stattdessen hatten wir viel Spaß. Und das Unerwartete war insbesondere, wie die Sexarbeiterin mit mir umgegangen ist. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie sehr geübt im Umgang mit Männern ist und weiß, wie man zusammen eine gute Zeit haben kann. Da sie auf selbstständiger Basis arbeitet und durch das eher hochpreisige Segment auch mal einen Kunden ablehnen kann, merkt man neben der Professionalität auch einen gewissen Spaß an der Arbeit. Naja, insofern man bei einer Dienstleistung Spaß an der Arbeit haben kann – auch bei mir als Architekt gibt es nervige Tätigkeiten, die aber gemacht werden müssen.
Als Mann bin ich es gewohnt, die Zügel in der Hand zu haben. Wenn ich die meisten Frauen frage, worauf sie Lust haben, bekomme ich selten eine klare Anweisung und muss dann oft die Entscheidung fällen, was gemacht werden soll. Natürlich weiß ich irgendwann, was bestimmte Frauen besonders gerne machen, und diese wissen, was ich gerne mache, so dass man darüber nicht mehr reden muss. Selten habe ich es aber erlebt, dass mich eine Frau an die Hand genommen hat und mir neue Erfahrungen gezeigt hat, auf die ich selbst nicht gekommen wäre.
Anders bei der Sexarbeiterin. Hier war ich völlig machtlos. Obwohl es mein Wunsch war, dass sie zu mir kommt, habe ich nach ihrer Pfeife getanzt. Und es hat mir sehr gefallen. Es war entspannend, mal nicht derjenige zu sein, der Entscheidungen fällt, und derjenige zu sein, der überrascht wird. In einem Moment forderte sie mich auf ihr meine Hand zu reichen und im nächsten Moment schwebte ich in der Luft für eine Akrobatik-Yoga-Übung. Ein anderes Mal zeigte sie mir eine Sexstellung, die ich dann bei einer Liebhaberin ausprobierte und die tatsächlich sehr gut war. Und für meine Projektidee mit einer kollektiven Kindererziehung konnte sie mir nützliche Informationen bieten.
Für mich war es auch ohne sexuelle Handlungen ein schöner Abend mit der Sexarbeiterin.