Switchen trotz Machtgefälle? Ein Erfahrungsbericht – Teil I
Gastartikel von Leon und Madeleine:
Als wir gefragt wurden, ob wir nicht als Gastautoren eine besondere Seite unserer Beziehung und Sexualität mit Euch teilen wollen, war uns recht schnell klar, was wir erzählen wollen: Switchen in TPE*-Beziehungen.
Nachdem wir immer mal wieder Diskussionen führen, wie das denn möglich sei bei dieser Beziehungsform und uns anhören, dass das doch nicht funktionieren kann, würden wir Euch gerne an unseren Erfahrungen teilhaben lassen.
Vorab ein paar Worte zu uns:
Wir, Madeleine und Leon (Namen geändert), leben seit über zwei Jahren in einer polyamoren Beziehung mit einem starken Machtgefälle.
Leon ist 30 und sammelt seit über 12 Jahren vielfältige Erfahrung mit BDSM. Seine Neigungen kreisen vor allem um physischen und psychischen Sadismus, Bondage und D/s**. Er spielt*** fast ausschließlich „oben“ – Erfahrungen auf der passiven Seite hat er bisher wenige gemacht.
Madeleine ist 22, seit über 8 Jahren in der Szene unterwegs und teilt sich mit Leon einen ausgeprägten Sadismus. Nachdem sie erste Erfahrungen auf der passiven Seite gesammelt hatte, war sie in den letzten Jahren fast ausschließlich aktiv unterwegs.
Unsere Beziehung und unser TPE
Unsere Beziehung war von Anfang an von einem klaren Machtgefälle geprägt, das sich vom Sex bis in den Alltag zieht und mit der Zeit immer intensiver wurde. Dabei nimmt Madeleine (eigentlich) dauerhaft die passive Rolle ein: für und mit Leon spielt und lebt sie, trotz ihrer sonst aktiven Neigungen, unten.
Den Begriff TPE nutzen wir selber selten und eher ungerne, da sich unsere Beziehungsform für uns richtig anfühlt, ohne sie mit Idealvorstellungen, Ideen und Lebensweisen von anderen Menschen zu vergleichen oder daran auszurichten. Vermutlich ist es aber von den im BDSM-Kontext verwendeten Vokabeln die treffendste. Sie sagt aus, dass zwischen den Partnern in einer Beziehung nicht nur im sexuellen Kontext, sondern auch darüber hinaus im Alltag ein Machtgefälle besteht. Je nach individueller Beziehung kann das natürlich unterschiedliche Formen und Ausmaße annehmen.
Für uns heißt es, dass Leon jederzeit alle relevanten Entscheidungen – auch über Madeleines Kopf hinweg – treffen kann. Das fängt bei ihren Orgasmen und Schlafenszeiten an und geht bis zu ihrer Ernährung, Kleidung, ihren Finanzen oder auch beruflichen Entscheidungen.
An dieser Stelle kommt häufig die Frage oder der Einwand auf „Aber was würdest du tun, wenn er dir sagen würde, dass du dein Studium abbrechen müsstest?“ (alternativ: “…von einer Brücke springen …“ oder Ähnliches), die verständlich, aber für uns irrelevant ist. Unsere Beziehung basiert auf der Prämisse und lebt davon, dass Leon zu jeder Zeit Madeleines Bestes im Sinn hat und entsprechend handelt und entscheidet. Das heißt auch, dass er derartige Entscheidungen nicht aus Launen heraus trifft.
Darüber hinaus ist es uns beiden sehr wichtig, dass Madeleine – auch vor dem Hintergrund unseres TPEs – selbstständig ist und bleibt, fähig und willig ist, eigene Entscheidungen zu treffen und vor allem im Alltag und nach außen als die starke Frau auftreten kann, die sie ist.
Abwechslung im Machtgefälle
Wie es mit Beziehungen und Menschen nun mal ist, funktioniert nicht immer alles so, wie man es sich einfach und verständlich definieren möchte. Und schon gar nicht simpel schwarz und weiß: nach etwa einem Jahr unserer gemeinsamen Reise durch die Welt des BDSM und TPE wurden in uns beiden langsam Stimmen immer lauter, die sich nach ein wenig Abwechslung und anderen Formen von Intimität und Intensität sehnten. Formen, die auf den ersten Blick so ganz und gar nicht in unsere Beziehung passen wollten. Um Euch einen besseren und persönlicheren Einblick zu geben, sprechen wir am besten jeder für sich:
Leon: Auch wenn ich fast ausschließlich aktiv, als „Top“ und Sadist, mein BDSM auslebe, sind schon immer mal wieder passive Gedanken und Fantasien durch meinen Kopf gegeistert. Nie sonderlich präsent oder wichtig, aber es war definitiv da. Das hat sich dann mit der Pubertät gegeben, als meine aktive Seite wesentlich stärker wurde und alles andere in den Hintergrund getreten ist. Auch heute nimmt diese Seite den deutlich höheren Stellenwert ein und fühlt sich in fast allen sexuellen Beziehungen für mich als „richtig“ an.
Vor einigen Jahren kam es kam dann unerwartet wieder hoch, als es sich bei einem flüchtigen Kontakt mit einer gewissen Dame (und ein wenig Alkohol) plötzlich reizvoll anfühlte, mich von ihr toppen zu lassen. Der Haken daran ist, dass ich scheinbar sehr wählerisch bin, bei wem ich das zulassen kann. Ich kann (leider?) an einer Hand abzählen, wer mich in der Hinsicht anspricht. Ohne jetzt groß auf den „Anforderungskatalog“ einzugehen: das Wichtigste dabei ist (neben vielen anderen Dingen) ein tiefes Vertrauen in die andere Person und das Wissen, dass sie diese Kontrolle und Verantwortung tragen kann.
Spannenderweise war schon bei unserem ersten Kontakt kurz der Gedanke da, dass ich mir Madeleine tatsächlich aktiv vorstellen könnte, vor allem weil sie zu dem Zeitpunkt auch selber ausschließlich aktiv unterwegs war. Das hat sich dann allerdings recht schnell gegeben, als wir beide – etwas unerwartet – in unsere D/s-Beziehung fielen. Nach einigen Monaten kam es dann aber immer mal wieder vor, dass ihre aktive Seite beim Kabbeln und Kräftemessen durchgeblitzt ist. Das war für mich zwar interessant, aber ich konnte mich nie richtig fallen lassen, weil ich gefühlt immer die Kontrolle (über sie und mich) behalten musste, also nicht einfach meinen Kopf ausschalten konnte. Da es ihr wohl ähnlich ging, haben wir uns irgendwann mehr über das Thema unterhalten und es kam zu einigen umgedrehten Spielereien – was immer ein wenig schwierig war, da das TPE und meine Kontrollbedürfnisse alles etwas blockiert haben. Aber ich hatte Blut geleckt und es krochen immer mehr Fantasien und Wünsche in meinen Kopf.
Madeleine: Zugegeben war ich anfangs davon ein wenig überfordert. Ich hatte mich an meine passive Rolle ihm gegenüber gewöhnt und genoss diese auch immens. Da war nicht nur Überforderung, sondern primär Angst, was aus unserem Rollenverhältnis werden würde, wenn ich mich über ihn stelle. Ich mag, ihm zu gehören, und brauche das auch. Es war also nicht nur Unterwerfung auf seiner Seite notwendig, sondern auch die Sicherheit, dass ich trotzdem „seins“ bleibe. Die Beziehungsseite, in der er über mir steht, musste für uns beide unberührt bleiben. Ebenso musste ich wissen, dass er sich niemals an mir „rächen“ wird für Dinge, die ich ihm antue, wenn er passiv spielt, weil ich sonst zu viel Rücksicht auf meine spätere körperliche Unversehrtheit genommen hätte.
Neben meiner eigenen Lust, mich über ihn zu stellen und ihm böse Dinge anzutun, ihn nach meinem Willen zu benutzen und zu lenken, war da auch noch die Motivation, ihm einen sicheren Hafen bieten zu können, in dem er sich wohl und sicher fühlen kann. Ich weiß, dass er sich fast nie fallen lassen kann und weiß genauso gut aus eigener Erfahrung, wie anstrengend das sein kann. Also wollte ich ihm die Erleichterung bieten können, sich einmal nicht kümmern zu müssen, sondern einfach folgen zu dürfen. Ich wusste, dass ich ihn beschützen würde, wenn er sich mir unterordnet, und wie gut ihm das täte, weshalb ich wirklich gerne wollte, dass das klappt.
Genauso wie in unserem „normalen“ D/s ist für uns auch beim Umkehren des Machtgefälles die Intensität der Beziehung und des Miteinanders elementar, dass wir uns beide voll fallen lassen können und uns in den Rollen wohlfühlen, statt nur ein wenig zu spielen. Wir leben also auch beim Switchen eine Art TPE. Sozusagen ein, weniger weit reichendes, „temporäres, umgekehrtes TPE“. Das bedeutet, dass Leon den passiven Part und Madeleine den aktiven Teil einnimmt. Er unterwirft sich also seinem Eigentum und sie bekommt für einen begrenzten Zeitraum (fast) ebenso umfängliche Rechte, wie er eigentlich über sie hat. Ausgeschlossen sind natürlich alle Dinge, die (in ihrer Wirkung) über den definierten Zeitraum hinaus reichen, oder generell die eigentliche D/s-Beziehung beschädigen, untergraben oder anderweitig verkomplizieren. Zudem alles, was in irgendeiner Weise Dritte einbezieht, da für uns dieser Wechsel außerordentlich intim ist und wir ihn auch selber noch gemeinsam erforschen.
Wir bauen uns also quasi eine Art TPE-Beziehung innerhalb unserer anderen TPE-Beziehung. Dieses „Extrem“ ist für uns notwendig und so gewollt, weil es für uns beide sonst sehr schwierig ist, uns wirklich in die ungewohnten Rollen fallen zu lassen und nur durch klare Regeln und Grenzen Schwierigkeiten und Verwirrung vermieden werden können. Es gibt natürlich ein paar Einschränkungen, auf die wir im zweiten Teil des Artikels nochmal zurückkommen.
Wir bedanken uns bei Leon und Madeleine sehr herzlich für diesen spannenden Beitrag zu unserem Themenmonat „Rollenbilder“. Den zweiten Teil des Artikels gibt’s hier.