Switchen trotz Machtgefälle? Ein Erfahrungsbericht – Teil II
Gastartikel von Leon und Madeleine:
Nachdem unsere Switcherei-Experimente jetzt seit etwa anderthalb Jahren laufen (mit dem ersten längeren Rollenwechsel vor ungefähr einem Jahr), wollen wir hier für Euch – und auch uns selber – ein kleines Resümee ziehen: Was waren unsere Erfahrungen, was war schön und womit gab es Probleme? Was haben wir draus gelernt? Und wie soll es weiter gehen?
Die ersten Versuche
Bei aller Liebe der Abwechslung herrscht in unserer Beziehung immer noch grundlegend eine klare Rollenverteilung vor, die für uns beide sehr wichtig und intensiv ist. Gemeinsam mit unserer Fernbeziehung (wir sehen uns so alle 2-3 Wochen für 2-4 Tage, manchmal länger) beschränkt das die Gelegenheiten, zu denen wir wirklich beide die Rollen wechseln wollen. Es schwingt auch so immer ein wenig das Gefühl mit, dass wir in unseren „eigentlichen“ Rollen schon zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit füreinander haben. In Zahlen heißt das, dass wir im vergangenen Jahr „nur“ dreimal für einen definierten Zeitraum die Rollen gewechselt haben – jeweils für 1-2 Wochen inklusive Gewöhnungsphasen. Zusätzlich dazu kommt es ab und an beim Spielen auch einfach so zu temporären Machtwechseln, wenn unsere Dynamik es so möchte – die sich nach kurzer Zeit (1-2 Stunden) aber wieder legen und auch entsprechend keinen Weg in den Alltag finden.
Startschwierigkeiten und Probleme
Generell wird es komplizierter, wenn man mit vier Persönlichkeiten eine Beziehung zwischen zwei Partnern führt, auch wenn diese unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Es fängt damit an, dass die Aktiv/Passiv-Verteilung in der Beziehung zwischen uns beiden passen muss. Wenn sich der eine mehr umgekehrte Machtverhältnisse wünscht, als der andere ihm geben kann oder will, wird es mittelfristig zu Spannungen kommen. Wir haben scheinbar das Glück, dass das sich bei uns ganz gut die Waage hält. Es kommt sehr selten vor, dass eine/r von uns eine Rolle einnehmen „muss“, die er in dem Moment nicht möchte. Am schwierigsten ist das noch in den Übergangsphasen, wenn wir beide merken, dass wir eigentlich gern mal wieder wechseln möchten und uns das auch gegenseitig kommunizieren. Das ist dann kein „Ich will switchen – ich auch – okay, let’s do it“, sondern es meldet sich in uns beiden die jeweils andere Seite erst dezent und mit der Zeit stärker. Und dann gilt es den richtigen Zeitpunkt zu erkennen / erwischen, an dem dieser Gefühlswandel auf beiden Seiten stabil genug ist.
Das hat mit unserem „dynamischen Switchen“ (also kurzfristiger und kurzzeitiger Wechsel) angefangen und dort schon zu Verwirrung geführt. Wenn z.B. Leon ein widerspenstiges Aufbäumen und Grenzen testen von Madeleine als Geste ihrer aktiven Seite interpretiert und seiner passiven Seite dann zu viel Spielraum lässt, bekommt keiner, was er will, und wir sind beide frustriert. Um das zu vermeiden, unterbindet er mittlerweile im Zweifelsfall aktive Anbahnungen bei ihr, wenn er sich nicht sicher ist, dass es auch funktioniert – das heißt, dass sie für einen ausreichenden Zeitraum und in notwendiger Intensität die Führung übernehmen kann und will. Das kann dann wieder zu Frustration bei ihr führen, wenn sie sich einen Wechsel erhofft hat. Und für ihn wird das entsprechend anstrengend, wenn er sie gegen Widerstand „unten hält“. Aber lieber so als andersherum – unserer „eigentlichen“ TPE-Beziehung geben wir hier die Priorität.
Regeln
Um das Switchen für uns erfolgreich zu machen, und die genannten Probleme zu umgehen, müssen wir uns an einige Regeln halten, die andere Switcher vielleicht nicht in diesem Maße brauchen.
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Definierte Zeiträume: Wir haben festgestellt, dass es uns nicht gut tut, spontan für einen längeren Zeitraum zu wechseln. Wir brauchen beide eine gewisse Eingewöhnungszeit, in der wir uns an unsere neuen Rollen herantasten können. Meist passiert das etwa eine Woche vor unserem nächsten Treffen – im Endeffekt meldet sich Leon, dass er bereit wäre, sich ihr unterzuordnen, oder Madeleine kündigt ihm an, dass sie gerne seine passive Seite sehen möchte. Der beidseitige Wunsch auf diese Abwechslung zeichnet sich ohnehin mit der Zeit ab, so dass es hier bisher nicht zu Überraschungen kam und es beiden recht klar ist, wann das geschehen soll. Er kann dann (genau wie sie) zustimmen oder ablehnen, je nachdem, wie das für uns beide in dem Moment funktioniert. Wir müssen beide zu 100% dahinterstehen, sonst geht’s den Bach runter. Bei dieser Absprache wird auch gleich festgelegt, für welchen (ungefähren) Zeitraum wir die Rollen umkehren wollen. Meistens brauchen wir beide nicht nur ein warm-up, sondern auch ein cool-down, damit wir uns langsam wieder ins „normale“ Leben einfinden können. Irgendwann ergreift dann Leon wieder die Initiative und holt sich sein Eigentum zurück.
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Verzicht auf Trigger: Während dieses vereinbarten Zeitraums hält er sich mit gewissen Triggern zurück. Natürlich reagiert Madeleine stark auf gewisse Zeichen und Verhaltensweisen von ihm, die in ihr hervorrufen, dass sie sich ihm unterordnen will. Die durchaus auch recht universell sind – sie würde also auch darauf reagieren, wenn er gerade unter ihr spielt. Was natürlich die Dynamik zerstören würde. Also haben wir vereinbart, dass er sie nicht triggert, weil sonst ein Rollentausch für uns beide nicht mehr möglich wäre. Genauso verspricht sie ihm umgekehrt, nicht auf einmal einzuknicken und unterwürfig zu werden.
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Einhaltung von („Meta-„)Regeln: Während der Zeit, in der er sich ihr unterordnet, achtet sie trotzdem noch auf grundsätzliche Regeln/Richtlinien, die in unserer Beziehung wichtig sind, beziehungsweise vor allem die Idee hinter ihnen – sie hat zum Beispiel ein Auge auf ihre Ernährung, ihren Schlaf und ihre Ausgaben. Andere werden ausgesetzt: sie kann zum Beispiel so viele Orgasmen haben, wie sie möchte (was sie auch ausnutzt …).
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TPE-Beziehung als Rückzugsraum und Priorität: Wir beide wissen, dass wir uns zur Not in die altbekannte Beziehung „flüchten“ können, wenn was schief läuft. Was natürlich für Leon nicht einfach ist, wenn er sein Mindset kurzfristig umdrehen muss – aber es ist für uns beide wichtig, diesen Rückzugsraum zu haben. Und es ist sein Versprechen an Madeleine, dass er sie nicht damit alleine lassen wird. Glücklicherweise war das bisher nicht notwendig. Außerdem hat unsere TPE-Beziehung Priorität, wenn es Konflikte zwischen den Rollen gibt.
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Keine Rache: Keiner von uns beiden wird / darf sich während der Zeit, die er oben ist, am anderen für irgendetwas „rächen“. Das Spiel muss also vollkommen losgelöst sein von den umgekehrten Rollen, sonst blockieren wir uns gegenseitig.
Generell funktioniert das mit viel Einfühlungsvermögen auf beiden Seiten. Wir haben Glück, dass wir beide recht empathische Menschen sind und uns gegenseitig gut kennen. Wir „riechen“ sofort, wenn etwas nicht stimmt und können das in unserem Vertrauensverhältnis auch ohne gegenseitiges Verurteilen (oder Angst vor Verurteilung) ansprechen. Das ist essentiell wichtig.
Erfolgsfaktoren und Tipps
Unterm Strich gibt es für uns ein paar Eckpunkte, die elementar wichtig sind, um unserem Switchen eine realistische Chance zu geben und die wir auch jedem Paar nahelegen möchten, das sich in einer ähnlichen Situation wiederfindet:
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Reden, Reden, Reden: Jeder muss wissen, woran er ist und den anderen an der eigenen Gedankenwelt teilhaben lassen: Was will ich eigentlich? Was ist meine Motivation und was sind meine Ziele? Was erwarte ich? Wo sind meine Grenzen? Und so weiter …
Was in unserer Kommunikation hilft: unsere verschiedenen (aktiven/passiven) Seiten haben eigene Personas mit Namen. So ist es für uns einfach, über einen bestimmen Aspekt unserer Neigungen und Bedürfnisse zu sprechen, ohne dass man diese Rolle gleich voll einnehmen muss. (Wir können also „Persona_A will, Persona_B will“ verwenden, um über unsere verschiedenen Seiten zu sprechen und erzeugen keine Verwirrung durch ein „ich will“) Auch wenn sich das manchmal ein wenig schizophren anhört 😉
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Regeln: Klare Regeln und Eckpunkte für einen Rollenwechsel helfen, eine Struktur zu schaffen, die Missverständnisse und Ärger vermeidet. Also findet heraus, was für Euch wichtig ist, schreibt es fest und haltet Euch dran.
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Ausprobieren und Fehler erwarten: Wie Samuel Beckett schon schrieb: Ever tried. Ever failed. No Matter. Try again. Fail again. Fail better. – Es ist fast unvermeidbar, dass es Spannungen und Enttäuschungen geben wird. Lasst Euch nicht ermutigen, sondern schaut, woran es liegt, und macht es das nächste Mal besser.
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Rückzugsraum: Schafft eine Ebene Eurer Beziehung, auf die ihr euch zurückziehen könnt, wenn etwas schief geht oder Unsicherheiten entstehen. Das kann eine stabile TPE-Beziehung sein, oder eine D/s-freie „Partnerschaftsebene“. Auf jeden Fall hilft es, zu wissen, dass man bei Fehlern nicht irgendwohin abstürzen muss, sondern einen bekannten und sicheren Hafen hat.
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Besserwisser ignorieren: Es gibt immer jemanden, der Euch erklären wird, wie es besser ist. Oder noch besser: wie es richtig ist. Es ist Eure Beziehung, es ist Euer Leben. Und was irgendwelche selbsternannten Szenegrößen, Erfahrungsgroßmeister und Beziehungsgurus davon halten und ob es deren Weltbild entspricht, sollte Euch wirklich nicht davon abhalten Euren Weg zu gehen.
Unser Fazit
Zusammenfassend müssen wir sagen, dass wir viel Spaß haben und die Möglichkeit genießen uns gegenseitig immer wieder neu zu entdecken. Jedem, der vor einer ähnlichen Situation steht, können wir nur raten es auszuprobieren. Macht Euch klar, was ihr wollt, und haltet Euch an ein paar Rahmenbedingungen und Regeln und dann genießt Eure Partnerschaft. Unsere Beziehung hat es ungemein bereichert.
Und für alle unter Euch, die nichts mit BDSM, TPE oder Ähnlichem am Hut haben und trotzdem über unseren Text gestolpert sind: Willkommen in unserer schönen, kleinen Gedankenwelt 😉
Nochmals vielen Dank an Leon und Madeleine für diesen überaus interessanten Gastartikel (Teil 1 könnt ihr hier nachlesen). Hier gibt es die ausführliche Originalversion des Artikels als PDF zum Download. Falls ihr Rückfragen an die Autoren habt, wendet Euch gerne an info@deviante-pfade.de.