Unter Druck
„Ich fühle mich unter Druck gesetzt“ ist ein Satz, den ich schon häufig gehört habe und der sich für mich wie ein Vorwurf anhört. Streng nach gewaltfreier Kommunikation betrachtet ist es auch kein „echtes Gefühl“. Dennoch ist es manchmal schwierig, seine Gefühle zu beschreiben, wenn sie sehr komplex sind . Letztendlich will man mit so einem Satz ausdrücken, dass etwas in einer zwischenmenschlichen Beziehung gerade nicht gut läuft. Auf den GfK-Navigatoren, die von mir sehr häufig in Gesprächen verwendet werden, schlägt die „Übersetzungshilfe“ für Gedanken wie „Ich fühle mich bedrängt“, „Ich fühle mich in die Enge getrieben“ oder den eingangs erwähnten Satz folgende „echte Gefühle“ vor: Angst, Ärger/Wut, Ohnmacht, Schuld und Scham. Wie man sieht, kann so ein Gedanke also durch sehr viele Gefühle (die insbesondere bei Ohnmacht auch gleichzeitig auftreten) entstehen – umso schwieriger zu beschreiben, welche Bedürfnisse hinter diesen Gefühlen stecken könnten. Hier ein paar Beispiele:
Druck durch (vermutete?) Erwartungshaltung
Wenn ich verknallt bin, gebe ich mir besonders viel Mühe, eine gute Zeit mit jemandem zu verbringen – ja, ich überhäufe und überfordere andere Personen mit meiner vielen Zuneigung und Zuwendung. Wenn sich nun jemand dadurch auch in mich (noch mehr) verknallt, kann das dazu führen, dass der Mensch denkt, er müsste ebenfalls dafür sorgen, dass wir jedes gemeinsame Wochenende (insbesondere bei Fernbeziehungen) in dieser totalen Ekstase verbringen. Kein Wunder, wenn sich dann jemand unter Druck gesetzt fühlt. Denn was passiert, wenn man nicht gut genug ist (=> Scham)? Oder wenn durch die nicht erfüllte Erwartungshaltung auf einmal Frust oder gar Wut entstehen (=> Angst, siehe auch Artikel Nein sagen ohne Schuldgefühle)? Ja, könnte es sogar sein, diesem Unglück hilflos ausgeliefert zu sein und nichts dagegen unternehmen zu können (=> Ohnmacht)?
Druck durch (zu ernst genommene?) Anforderungen
Wenn ich mich verliebt habe, entsteht in mir der Wunsch, jemanden häufig zu sehen (z.B. wöchentlich). Ich habe bisher noch nicht die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn jemand ständig bei mir nachfragt, wann man sich das nächste Mal sieht. Wenn ich verliebt bin, bin ich ungeduldig und sehnsüchtig. Das kommuniziere ich dann auch. Selbst wenn die andere Person diese Gefühle mit mir teilt oder mich aus anderen Gründen ebenfalls gerne häufig sehen würde, kann es viele Gründe geben, warum keine Zeit gefunden werden kann. Wenn ich dann auch noch meinen Frust mitteile, wie es mich enttäuscht, wenn diese Person keine Zeit hat, kann sie schnell denken, sie hätte z.B. ihre Prioritäten falsch gesetzt (=> Schuld). Oder ist nicht gut genug, das hinzubekommen (=> Scham). Und überhaupt hat man auf diese ganzen Anfragen keine Einflussmöglichkeit*, wann sie einen überfluten (=> Ohnmacht).
Druck durch (negative?) Alltagsroutine
Eigentlich will ich wirklich nur das Beste für diejenigen, die ich liebe. Und dennoch bilde ich mir manchmal ein, zu wissen, was der andere braucht, ohne fragen zu müssen (insbesondere wenn man sich schon ein paar Jahre kennt). Kein Wunder, wenn sich jemand in seinem Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit beschränkt fühlt, weil Papa Pablo ja schon alles entschieden hat. Insbesondere der Gedanke, ich würde jemanden bedrängen oder bemuttern, kann dann aufkommen. Das ist doch eine Grenzüberschreitung und darf so nicht sein (=> Ärger/Wut). Aber anscheinend merkt Papa Pablo das sowieso nicht und meine Mühe, das auf freundliche Art zu kommunizieren, ist sinnlos (=> Frust). Vielleicht stimmt ja mit mir etwas nicht, wenn Papa Pablo meine Signale nicht bemerkt (=> Scham)?
Eskalation verhindern?
In allen Beispielen kann die Situation eskalieren, wenn man es nicht schafft, frühzeitig miteinander über seine Gefühle zu reden. Denn steigen diese Gefühle erst mal ins Unerträgliche, ist Flucht (d.h. in diesen Beispielen ein Abbruch des Beziehungsverhältnisses) vielleicht die einzige Strategie, den Gefühlen zu entkommen. Wenn heutzutage jemand die eingangs erwähnten Gedanken formuliert, klingeln deswegen bei mir die Alarmglocken (=> Angst). Das hilft immerhin, die Sache ernst zu nehmen. Dennoch kann es auch schon zu spät sein, darüber zu reden, und dann bin ich der Situation hilflos ausgeliefert (=> Ohnmacht). Wenn jemand also nicht so gut darin ist, seine negativen Gefühle in einem Verhältnis frühzeitig anzusprechen, muss ich vielleicht öfter nachfragen (insbesondere wenn meine Partnerin durch ein Machtungleichgewicht in der Beziehung eingeschüchtert sein könnte, siehe Artikel Versteckte Machtrollen in Beziehungen). Oder man etabliert gemeinsam ein regelmäßiges Zwiegespräch, um zu schauen, wie man sich miteinander fühlt.
* Das hängt sicherlich individuell davon ab, wie man seine Messenger-Benachrichtigungen eingestellt hat. Theoretisch könnte man Nachrichten bestimmter Messenger oder Personen nur zu bestimmten Tageszeiten etc. zulassen.