Verlangen in Worte fassen – ein Plädoyer für mehr Verbalerotik
Ich rede gerne über Erotik und Sex, egal ob vorher, nachher oder währenddessen. Aber ich gestalte diese Gespräche auch unglaublich gerne erotisch. Irgendwann wurde mir dafür mal der Begriff „Dirty Talk“ zugeworfen, so nennt man das wohl. Leider assoziiere ich damit aber eher lächerliche Pornodialoge à la „Warum liegt hier Stroh rum?“ als wirkliche Erotik. Darum habe ich nun, ein paar Jahre und einige Erfahrungen später, den Begriff Verbalerotik für mich entdeckt. Was das für mich ist, wie ich da anfange und wie sich solche Verbalitäten gestalten können, möchte ich hier einmal mit euch teilen.
Warum reden beim Sex viel mehr als nur Spaß macht!
Ein paar, oder ein paar mehr erotische Gedanken mit jemandem auszutauschen, sei es nun übers Texten, das Telefon oder von Angesicht zu Angesicht, lässt meinen Körper vor Spannung kribbeln. Ich merke, wie ich den Alltag mit jedem Wort weiter hinter mir lasse. Die Hausarbeit bleibt auf dem Schreibtisch, der Stress in meinem Hinterkopf, aber mein Bewusstsein bewegt sich mehr auf meine erotischen Phantasien zu, bis mein Höschen feucht wird. So bietet mir Verbalerotik die Möglichkeit, in erotische Situationen hineinzugleiten und dann auch darin zu bleiben. Doch auch insgesamt finde ich es spannend und hilfreich, mich so anderen Menschen auf sexuell-erotischer Ebene anzunähern.
Sich vor und insbesondere während dem Sex seine Gedanken anzuvertrauen, erweitert ihn allerdings auch um eine Kommunikationsebene, die sonst nicht so sehr im Fokus steht. Eben weil diese Ebene hinzukommt, die eigene Gedanken, Gefühle und Phantasien wenig gefiltert dem Partner offenbart, bestehen bei vielen Menschen so große Hemmungen, Verbales auszuprobieren. Dabei wird meiner Meinung nach zu oft vergessen, dass genau dadurch die Möglichkeit besteht, ehrlich und positiv seine Wünsche und Grenzen zu kommunizieren, ohne die Situation aufzubrechen.
Denn in so intimen Momenten kann auch ein liebevolles „Bitte sei ein wenig zärtlicher!“ wie ein Vorwurf wirken. Lernt man das jedoch in eine phantasievolle Ich-Botschaft umzuformulieren, verschwindet dieses Risiko. „Ich würde es total schön finden, wenn du mir zärtlich über meine Hüfte streichst, ganz langsam und sanft, sodass ich es gar nicht erwarten kann, bis du zur nächsten Stelle kommst und innerlich nach mehr giere…“ Klingt diese phantasievolle Ausführung von Wünschen nicht gleich ganz anders?
Auch Situationen, die die Stimmung eventuell stören, können so in die Phantasie integriert werden. Wer kennt es nicht, gerade kein Gummi direkt zur Hand zu haben. Und sucht man danach, während der andere sehnsüchtig auf einen wartet, wie schön kann es da sein, diese Sehnsucht durch ein „Ich würde dich jetzt so gern in mir spüren!“ mitzubekommen? Obwohl man auf der Handlungsebene woanders ist, bleibt man verbal und so mental im erotischen Setting und vermeidet eine Unterbrechung oder sogar ein Ende der erotischen Stimmung.
Eine der schönsten Facetten an Verbalerotik ist für mich jedoch, dass sie gewohnte Schemen aufbrechen und neue Rahmenbedingungen schaffen kann. Vor einiger Zeit habe ich beispielsweise angefangen, jemanden neu zu daten. Obwohl wir uns ja gerade erst frisch kennenlernten, hatten wir schon unser Schema F beim Sex etabliert. Doch irgendwann änderte er dieses Schema, indem er mich, während wir gemeinsam auf mein Bett zu stolperten, darum bat, ihm detailliert zu verraten, worauf ich so stehe. Er drohte mir verspielt, er würde vorher nicht mit mir schlafen. So haben wir langsam meinen gesamten Körper durchgesprochen, eine kurze Funktionsanleitung für mich in erotisch sozusagen. Von meinen Füßen, über Oberschenkel, Hüfte, Hals, Handgelenke, alles was uns so einfiel. Jedes Mal setzte er Vorlieben wie Beißen, Hauchen, Zudrücken oder Streicheln sofort um und fragte mich, wie es sich anfühlte, was ich daran so mochte, oder einfach, ob ich mehr wollte. Durch dieses verspielte Gespräch konnten wir wohl alle bisher erwähnten Vorteile von erotischen Dialogen voll auskosten und die Situation allein durch ein paar gehauchte Worte gänzlich verändern, nicht nur für den Abend. Ich denke, diese Macht von Worten, neue Situationen, Machtkonstellationen oder Rollen zu schaffen, sollte man niemals unterschätzen.
Jeder Mensch kann erotisch klingen und sich erotisch ausdrücken!
Und das kann man auch lernen. Dabei geht es nicht darum, irgendetwas auswendig zu lernen oder zu scripten, sondern sich mit dem Thema sicherer zu fühlen, um dann in der Situation selbst lockerer und mehr man selbst zu sein. Ganz viele Ratgeber wollen einem zwar schon sagen, wie man mit „Dirty Talk“ anfängt und wie das Ganze sich anzuhören hat, hier aber einmal, was meine Erfahrungen mir gezeigt haben.
Nimm dir Zeit für dich selbst und finde deine erotische Stimme.
Achte in erotischen Situationen, vielleicht wenn du einen erotischen Film schaust, entsprechende Literatur liest, oder dich selbst befriedigst, auf deine eigenen Gedanken. Finde erst durch diese Selbstbeobachtung heraus, was dich erregt, was du fühlst, wo dein Fokus liegt und dann, welche Worte für dich dazu passen. Sprich ruhig laut aus, was du denkst, um festzustellen, ob sich etwas daran unnatürlich anfühlt! Probier herum, bis du das Gefühl hast, dass du eine Stimmigkeit im Wortlaut gefunden hast. Das bedeutet manchmal, Synonyme für Worte zu finden. Doch manchmal hat man einfach das Gefühl, auch mit den richtigen Worten nicht die richtige Wirkung zu erzielen. Das ist ganz normal.
Probier doch mal aus, die Wirkung eines Satzes durch verschiedene Stimmhöhen, Lautstärken, Mimik, Sprachtoni und Pausenzeiten zu verändern. Ja, ich weiß, das klingt jetzt total albern. Schließlich sollte man sich in einer erotischen Situation nicht darauf konzentrieren, die richtige Stimmhöhe zu treffen, oder an den passenden Stellen Pausen zu machen. Aber es geht bei dieser Übung nur darum, deine erotische Stimme zu finden und dir diese bewusst zu machen. In erotischen Situationen selbst machst du all diese Dinge ohnehin meist unbewusst, und so ergibt sich die Erotik von ganz allein. Beispielsweise spricht man automatisch ein wenig tiefer, wenn man erregt ist, während man dazu neigt, höher zu sprechen, wenn man Unschuld suggerieren möchte. Auch ausgedehnte Pausen, die Neugierde und Spannung beim Partner aufbauen, fügen sich oft ganz von selbst in einen Dialog ein. Entsprechende Mimik führt zu Stimm- und Tonusveränderung. Schaust du ernst, klingt deine Stimme auch ernster und mehr nach einem Befehl, lächelst du spöttisch, klingst du auch so, lächelst du freundlich dabei… Ja, richtig, das Prinzip lässt sich so weiterführen, also nur keine Scheu.
Sei im Moment!
Was passiert gerade und wie lässt es dich fühlen? Wie soll die Situation weitergehen? Nur Mut, du weißt am besten was du gerade fühlst, wünscht und denkst, also weißt du auch was du sagen möchtest. Ob du das nun in direkterer, obszöner Hardcore-Attitüde à la „Ich möchte, dass du deinen Schwanz in mich steckst, und mich fickst bis ich nicht mehr kann…“ passiert oder in verhaltenerem Softcore, bleibt ganz dir überlassen.
Reagiere sofort, wenn dir Worte nicht gefallen.
Manchmal möchten einem nicht dieselben Worte gefallen. Das ist schon okay, weise deinen Partner einfach freundlich, aber bestimmt darauf hin. Sucht eventuell sogar gemeinsam Alternativen zu dem Wort. Jemand sagte mir beispielsweise mal: “Meine Hände streifen über deine Backe” – Backe!? Das Wort hat mich sehr herausgerissen, denn “Hey, ich wusste gar nicht, dass sie schon so weit nach unten gewandert sind, aber wenn, dann würde ich das Po nennen, außer natürlich du möchtest über meine Wange streichen”. Mir ist bewusst, viele Menschen sprechen solche Dinge erst später an. Da sich Worte, gerade Betitelungen für Körperteile, aber gerne mal wiederholen, finde ich es wichtig, sofort zu handeln.
Im Duett klingt Erotik oft noch besser!
Es ist schön, wenn du deine erotische Stimme gefunden hast, aber vergiss nicht, deinem Partner auch eine zu geben. Einerseits heißt das, sich eher auf Ich-Botschaften zu konzentrieren, unterstelle deinem Partner im Dialog bitte keine Gefühle oder Handlungen. Du kannst den Ball aber auch mal ganz an deinen Partner abgeben und ihn deine Phantasie weiterspinnen lassen. Glaub mir, dabei können spannende neue Wendungen entstehen!
Andererseits stellen auch Worte eine sexuelle Handlung dar, denk bitte daran. Egal ob von Angesicht zu Angesicht oder beim Texten, auch ein erotischer Dialog sollte konsensuell ablaufen. Das kann bedeuten, sich nur durch ein „Möchtest du wissen, was ich noch gern mit dir machen möchte?“ am Ende einer Ausführung kurz abzusichern, ob alles okay ist. Außerdem jedoch anzuerkennen, dass es jedem selbst überlassen ist, ob Worte Lippenbekenntnisse bleiben oder in die Tat umgesetzt werden! So oder so gilt: Zu einem Dialog gehören immer Zwei. Wenn dein Partner spricht, hast du also zu schweigen und zuzuhören.
Es ist alles erlaubt, was für dich richtig klingt!
Egal, ob Alltägliches plötzlich das erotische Gespräch unterbricht oder jemand plötzlich Lachen muss, nichts davon muss ausgeblendet werden. Denn wir müssen nicht immer todernste Dialoge führen. Auch ein Lachen kann mal vorkommen und schafft eine gewisse Natürlichkeit und Ehrlichkeit. Ebenso ein Miauen der Katze oder ein Rascheln der Lieblingsdecke im Hintergrund. Meist integriert man alles schon in seinen Gedanken, sei es nun ein „Deine Katze stört, ich möchte dich doch gerade ganz für mich allein…“ oder ein „Ist das deine Kuscheldecke, die da so raschelt? Ich stelle mir vor, wie sie sich an deinen Körper schmiegt und wünschte, ich wäre das.“ Sei offen für ehrliche, natürliche und echte Dialoge, dann ergibt sich wirklich alles von selbst.
Und wenn du mir all das nicht glaubst, probier‘s einfach mal aus! 😉
Herzlichen Dank an Malefiz für diesen wunderbaren Gastartikel. Das Plädoyer für mehr Verbalerotik kann ich teilen, da ich auch schon einige wunderbare Textwechsel mit lieben Menschen hatten, die die Vorfreude auf ein reales Wiedersehen nochmal verstärkt haben.
Malefiz liebt Wortakrobatik, Shibarikunst und Diskussionskultur. Also, kommentiert gerne, oder folgt ihr auf Instagram, wenn ihr mehr erfahren wollt.